01. Lehre und Entwurf

Ist Entwerfen magische Alchemie, Wiederholung eines tradierten Formenkanons, Recycling oder Evolution von architektonischen Ideen? Eine Entwurfslehre muss Antworten auf diese Frage formulieren, muss das Erschaffen von Formen zwischen den Polen der reinen Zweck- und Technologieerfüllung, der künstlerischen Gestaltung, den bautypologischen Konventionen und der Wunschbefriedigung mittels architektonischer Formen zu kommunizieren erklären. Entwurfslehre muss in pluralistischer Art und Weise über die Ursprünge und die Herleitung der verschiedenen Entwurfsansätze und Architekturformen, Darstellung, Kompositionslehre und Gebäudeplanung über das kontextuelle Entwerfen bis hin zur Architekturtheorie einen Überblick geben.

Über die Ursprünge und die Herleitung der verschiedenen Entwurfsansätze und Architekturformen, die Darstellung, Kompositionslehre und Gebäudeplanung über das kontextuelles Entwerfen hin zur Architekturtheorie wird in pluralistischer und offener Form ein Überblick gegeben. Es ist das übergeordnete Ziel bei den Studenten die persönliche Analyse- und Ausdrucksfähigkeit und ein reflexives Verhalten zu motivieren, zu fördern und zu trainieren. In ihrer Zukunft sollen diese in die Lage versetzt werden alle Chancen und Möglichkeiten zu nutzen, Risikobereitschaft zu zeigen und in sich selbst so Vertrauen gewinnen, dass sie mit allen Aufgaben und Situationen umgehen können. Eine miteinander verzahnte Mischung von Übungen, Stegreifen, Kompositionsspielen und Aufgaben mit thematisch begleitenden Vorlesungen und Seminaren führen die Studenten in die Komplexität des Entwerfens ein. Unterschiedliche Kompositions- und Entwurfsmethoden werden neben gebäudeplanerischen, konstruktiven und darstellungstechnischen Aspekten in den aufeinander aufbauenden Aufgaben über „Entwurfsbindungen“ explizit trainiert. Eine präzise Beschreibung der Aufgabe mit Vorgaben von Ort, Randbedingungen, Raumprogramm, sowie methodischen Hilfestellungen führt die Studenten direkt zu den gewünschten Lern- und Übungszielen. Entwerfen soll als Prozess verstanden werden, bei dem Aufgaben und Probleme beobachtet und analysiert werden, um dann Antworten und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die eigenen Architekturkonditionierungen, die Verhaftung in Bildern beim Entwerfen ist zu erkennen und zu interpretieren. Die Umsetzung von Raumprogrammen verlangt das Erlernen und Anwenden von Planungsmethodiken. Darstellungstechniken sind umzusetzen. Anhand von versteckt in die Aufgaben eingewobenen Entwurfsmethoden und Entwurfsbindungen werden die Studenten, unabhängig von ihren persönlichen Konditionierungen und Vorlieben, dazu geleitet diese Methoden auszuprobieren, die Konsequenzen und Möglichkeiten für sich zu entdecken und dadurch vorgefertigte Meinungen aufzulösen.

Das Lehrprogramm im dritten Semester baut inhaltlich auf den vorangegangenen Semestern auf. Der thematische Schwerpunkt ist eine städtebauliche Aufgabe. Da die Aufgaben in einer komplexen und in unterschiedlicher Weise interpretierbaren Stadtstruktur spielen, ist der analytische, beobachtende und lesende Teil der Aufgabe von hoher Wichtigkeit. Die angemessene Wahl der Entwurfssprache unter Berücksich­tigung von sensiblen und historisch bedeutsamen Orten stellt einen Hauptteil der Aufgabe dar. Das Semester bietet eine Einleitung in dem Themenbereich öffentliche Bauten. Die Bedeutung öffentlicher Bauten für Stadt, Gesellschaft und Wirtschaft wird behandelt. Für die Bewältigung des Raumprogramms ist die Anwendung der gelehrten Planungsmethodiken erforderlich. In den Vorlesungen wird ein Überblick über städtebauliches Entwerfen, Analysemethoden, städtebauliches Komponieren sowie über die historische Entwicklung der Städte, speziell der europäischen Stadt, gegeben.

Lehrinhalte:

Grundlagen der Entwurfsmethoden, Übersicht, Einführung Architekturtheorie

Grundlagen der Gebäudeplanung, Funktionen, Typologien, Normen, Baurecht

Grundlagen der Gestaltung, Kompositionsprinzipien, Proportionen

Grundlagen der Darstellungstechniken, Modellbau, Grafik, CAD, Bildbearbeitung

Grundlagen des Städtebaus, Kontext, Stadtstruktur, Analysemethoden

Ein über drei Semester laufender Vorlesungszyklus ist Dreh- und Angelpunkt der Lehre. Die Vorlesungen bieten einen allumfassenden Überblick über die beschriebenen Lehrinhalte. Ein Schwerpunkt ist die eingehende Beschreibung von Entwurfsmethodiken. Über die reine bebilderte Darstellung von Architekturphänomenen und Architektenbeispiele hinausgehend wird auf eine fundierte Präsentation von Herleitungstheorien, Ursprüngen, Hintergründen und Zusammenhängen Wert gelegt.

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02. Architektur ist ein Kommunikationsmedium

Was ist Entwerfen? Formen und Gestalten? Welche Rolle  spielt der Architekt? Wann setzt bei alltäglichen Bauvorhaben ein Gestaltungsprozess ein, den man als Entwurf beschreiben könnte? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Gestalt vieler Gebäude, insbesondere der Alltagsarchitektur weniger bewusst (im akademischen Sinne) entworfen wurde, sondern normalerweise das direkte Resultat von folgenden Faktoren ist:
- konstruktiven Konventionen (Handwerk), z.B. bei alten Fachwerkhäusern
- Material- Konventionen, lokal verfügbare Baumaterialien, die z.B. bei Dacheindeckungen verwendet werden
- dem Klima, z.B. Steildach bei viel Regen
- der Nutzung
- dem Grundstück und der Topographie, Erschließung
- den finanziellen Möglichkeiten
- und den möglichen, verfügbaren Hilfskräften
In welcher Familie von den hier anwesenden Studenten wurde schon mal gebaut? Ohne oder mit Architekt? Gab es einen gestalterischen Anspruch? Vielleicht wurde das Haus im System der Bricolage erstellt („Basteln“), das heißt es wurde genommen was gerade zur Verfügung stand, Materialien, Fertigprodukte wie z.B. Türen oder Vordächer vom Baumarkt oder Baustoffhandel. Diese Baumaterialien stehen dort am einfachsten zur Verfügung und erscheinen am Billigsten. Vermutlich wurde auch Hilfe von Bekannten und Freunden für einfache Bauausführungen in Anspruch genommen. Das ist informelles Bauen im collagierten Sinne. Die Form des Gebauten ist ein zufälliges Resultat von nahe liegenden, einfachen Entscheidungen, die schnelle und unmittelbare Erfüllung eines Bedarfs über Improvisation. Ein Großteil der Alltagsarchitektur entsteht wohl auf diese Art und Weise. Ungewollt entstehen durch diese Handlungsweisen beim Bauen manchmal organisch wirkende  Strukturen. Die durch Landflucht illegal errichteten Stadtviertel in Südamerika sind dafür ein aktuelles Beispiel.
Spannend wird die Situation wenn ein Bauherr den Wunsch nach besonderen Formen zum Beispiel. einen Turm oder einen Erker, einen hervorgehobenen Eingang, besondere Farben und Fenster äußert. Woher kann dieser Wunsch kommen? Will er etwas vermitteln? Und wenn ja, dann was?
Ist es das Haus des Nachbarn (Wunsch: Nachahmung)? In Zeitungen, im Fernsehen gesehen (Wunsch: Vorbild)? Sind es Urlaub- Kindheitserinnerungen (Wunsch: Emotionen visualisieren und festhalten)? Rein Repräsentative Gründe (Wunsch: Status und Wohlstand zeigen)? Oder die „Angst“ vor der eigenen Endlichkeit (Wunsch: sich ein Denkmal als Erinnerung in Lebzeiten zu setzen)?
Diese Konstellation ist eine Schlüsselfrage, weil genau an diesem Punkt der Prozess des Entwerfens einsetzt; Architektur als Kommunikationsmittel von jemanden (Bauherr, Nutzer, Gesellschaft, Kirche usw.) für jemanden (Nutzer, Bürger...). Eine Besonderheit über das Unmittelbare hinaus soll vermittelt werden. Wird ein Ausdruck, die Funktion, ein Inhalt, werden Zeichen und Symbole im Sinne von Repräsentation angewendet? Für welche Information steht eine spezifische Formgebung, z.B. eine Fassade oder ein Ornament? Oder anders gefragt: welcher Inhalt wird durch welche Form repräsentiert?
Diese einfachen Überlegungen zeigen, dass es für das Verständnis einer Architekturform, also auch für das Entwerfen, unabdingbar zu sein scheint das Wechselspiel zwischen der Form und den Kräften, die diese Form ermöglichten, zu ergründen. Das Begreifen von Architektur im Rahmen von Stil und formaler Ästhetik, wie es auch die klassische Kunstgeschichte gerne beschreibt, ist für das Verständnis der Ursprünge, der Kräfte die Architektur produzieren und entstehen lassen, der Bedeutungen und der Herleitung von Formen und Architekturen eher irreführend.
Eine spezifische und gestaltete Form entsteht erst wenn damit ursprünglich eine Informationsübertragung stattfindet, „kommuniziert“ wird, sonst wird niemand dafür die Energie des ökonomischen „Mehraufwands“ aufwenden. Der Wille und Wunsch zur Repräsentation ist Urbedingung jedes architektonischen Schaffens. Die Form, die Fassaden, die Räume und Ausstattung verweisen auf nichtarchitektonische Inhalte, „stehen für, repräsentieren etwas“.
Erst im Laufe der Zeit und in einem Transformationsprozess entstehen dadurch stilprägende, inhaltlich codierte und im ästhetisch- theoretischen Diskurs betrachtete Elemente. Umso verständlicher wird diese Sichtweise, wenn man sich vor Augen führt, dass sich in der Vergangenheit, besonders vor Erfindung des Buches, die Möglichkeiten der Kommunikation grundlegend von der heutigen Situation unterschieden. Über Architektur zu kommunizieren, Bilder und Inhalte zu vermitteln, auch sozial zu interagieren, muss deutlich wichtiger und notwendiger gewesen sein als in der heutigen Zeit, wo die Medien Fernsehen, Kino, Zeitschriften und das neuste Medium Internet den Informations- und Kommunikationsbedarf in voller Tiefe abdecken. So ersetzen die heutigen text-, bild- und videobasierten sozialen Internetplattformen mehr und mehr den Kommunikationsbedarf der bisher zum Beispiel über die Populäre Musik, Mode und Kunst vermittelt wurde.
Der architektonische Reichtum von Architekturen untergegangener Kulturen und zugleich die gestalterische Armut vieler gegenwärtiger Häuser, lassen sich auch aus diesem Umstand erklären. Daher gilt es idealerweise Architektur als Kommunikationsträger wieder zu entdecken!

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03. Entwurfsmethoden

Für die Art und Weise wie ein Gebäude entworfen wird gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Eine allgemeingültige „Methode“ für das Entwerfen lässt sich weniger definieren. Den Entwurfsprozess in zeitlichen Abschnitten zu strukturieren ist eine erste gute methodische Hilfestellung. Es lassen sich verschiedene Entwurfsmethoden den thematischen Schwerpunkten, welche die Grundlagen für ein Gebäude sein sollen, zuordnen. Die Vielfalt von Architekturhaltungen entspricht dabei der Vielfalt von Architekturstilen. Von besonderem Interesse ist dabei von welchen Prinzipien die verschiedenen Entwurfsstrategien hergeleitet werden und wo die eigentlichen Ursprünge der Ideen, Denkweisen und Architekturkonzepten sind. Nicht die Vermittlung einer einheitlichen Architektur ist das Ziel sondern der Nachweis, dass die Architekturgeschichte in der Gegenwart und Vergangenheit immer durch eine pluralistische Existenz unterschiedlichster Architektursprachen gekennzeichnet ist, die nebeneinander bestehen. Folgende thematische Schwerpunkte für den Entwurf eines Gebäudes gibt es:

Thema, Mittel und Beispiel

Entwurf + Kontext

Analyse, Interpretation

Aus städtebaulichen, topographischen Aspekten hergeleitete Architektur

Entwurf + Typologie

Geometrie, Komposition und Modul

Rationale Typisierung funktionaler und städtebaulicher Bauformen

Entwurf + Konstruktion

Elementierung, Modul

Aus konstruktiven Aspekten, dem Material und Detail entwickelte Architektur

Entwurf + Funktion

Organisation, Nutzung

Funktionale Architektur, von „innen“ heraus entwickelt und geplant

Entwurf + Komposition

Kompositionslehre

Aus gestalterischen, repräsentativen Gesichtspunkten entwickelte Architektur

Entwurf/Geometrie: aus der Dialektik Körper + Raum entwickelte Formen

Entwurf/Organik: organische Architektur, Collage, Natur als Vorbild, Inspiration

Entwurf/Oberfläche: Fassaden und Ihre Bedeutung, Zeichen

Entwurf/Symbolik: Symbolische und figurative Architektur

Nicht jeder Entwurf, jedes Gebäude, entwickelt sich mittels seiner Idee, Form, Gestalt genau aus einer der beschriebenen Haltungen, Methoden. Es ist jedoch tendenziell gut möglich den einzelnen Methoden verschiedene Architekten zuzuordnen. Die meisten Entwürfe und Gebäude, besonders die Gelungensten, sind natürlich meist eine Symbiose der verschiedenen Betrachtungsweisen. Wo der Entwurfsprozess hinführt, hängt auch von der persönlichen Intuition, Vorlieben, von eingeprägten Bildern und Atmosphären ab. Es ist sehr hilfreich, sich über den eigenen Standpunkt bewusst und über den konzeptuellen Ursprung im Klaren zu sein.

Entwurfsmethodik

Der Entwurfsprozess lässt sich in unterschiedliche Abschnitte gliedern.

1. Studium, Analyse Aufgabe, Kontext

Studium Ort und Kontext - gibt es besondere Merkmale?

Städtebauliche und topographische Analyse - gibt es besondere Merkmale?

Definition- Studium Aufgabe, Programm, Funktion - gibt es besondere Merkmale?

2. Erkenntnis

Zusammenstellung der Informationen

3a. Definition Zielvorstellung: wie soll die öffentliche Wirkung sein?

- Verantwortung

- soziale Haltung

- introvertierte Wirkung

- extrovertierte Wirkung

- Symbolgehalt, Repräsentative Wirkung

3b. Definition Zielvorstellung: wie ist die Einbindung in die Umgebungsstruktur?

- rationale Haltung

- organische Haltung

- Einbindung in Kontext

- Kontrast zum Kontext, Objekt

- Geometrie Grundformen oder freie Formen

3c. Definition Zielvorstellung: wie soll das Programm umgesetzt werden?

- Typologische Einordnung

- Verantwortung gegenüber dem Nutzer und dem Bauherrn

- Umsetzung über eine introvertierte Raumvorstellung

- Umsetzung über eine extrovertierte Raumvorstellung

4. Aktion - Form - Gestaltfindung

Ideenfindung, Probieren, Testen, Ordnen, Elementieren

5. Dokumentation

Darstellung

6. Interpretation

Einordnung der Gestalt in Bezug zur: Architekturgeschichte, Theorie, Inspiration, Vorbild, Intuition, Emotion, Vision, Ideologie, Atmosphäre

7. Konzept, Idee, Thema

Entscheidung für den Entwurf

8. Entwurf

Entwurf, Ausarbeitung

Ausführungsplanung, Detailplanung

Ausführung Baustelle, Bauüberwachung

Das archetypische Haus - der Einraum

Die verschiedenen Entwurfsmethoden und eine strukturierte Arbeitsweise beim Entwerfen lassen sich sehr gut an kleinen Entwürfen trainieren. Insbesondere das so genannte „archetypische Haus“ ist ein geeigneter Anfang, um die primären Zusammenhänge beim Entwerfen zu entdecken und in einer ursprünglichen Form umzusetzen. Das archetypische Haus umhüllt nur einen Raum. Dieser „Einraum“ prägt mit seiner Raumform und mit seinem funktionalen Inhalt direkt die Hülle und die äußere Form des Objekts. Der „Raum“ ist zugleich „Körper“. Der „Einraum“ gilt als Keimzelle und „Archetyp“ der Architektur. Die wichtigen Aspekte beim Entwurf eines Einraums sind:

Funktion

Wohnen, Arbeiten, Handel, Treffen oder religiöse Nutzung

Komposition: Kubatur- Raumform

geometrische Grundform

organisch

symbolisch

gestörte Geometrie

Symmetrie / Asymmetrie

Komposition: Erschließung

zentral

über Eck

Niveau

Schleuse

von oben, von unten

Belichtung, Belüftung: Lichtverhältnisse

introvertiert - extrovertiert

Fensterform, Proportion

Lage der Lichtöffnungen

künstliche Beleuchtung

Material, Konstruktion

Bestimmung Material

Konstruktionsprinzip

Elementierung

herausgestellt, offen

verdeckt, verkleidet

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04. Archaische Architekturformen

Entwerfen lässt sich am besten durch das Studium von bestehenden Bauten nachvollziehen und erlernen. Anhand von kleinen, übersichtlichen Gebäuden lassen sich sehr gut die entwurflichen Zusammenhänge bei der Gestalt der Häuser entdecken. In der Vorlesung werden unterschiedliche elementare Architekturformen als Beispiele für die folgenden Herleitungsweisen vorgestellt und beschrieben:

Entwurf + Kontext

Entwurf + Organik

Entwurf + Konstruktion

Entwurf + Typologie

Entwurf + Funktion

Die altertümlichen, traditionellen und modernen Beispiele sind kleine, archetypische Häuser. Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen introvertierten Lösungen (Belichtung von oben oder über Innenhöfe), normalen Lösungen (Belichtung über klassische Fenster) und extrovertierten Lösungen (meist voll verglaste Wände, hohe Transparenz der Räume zur umgebenden Landschaft). Von extrem wichtiger Bedeutung ist die Auswahl des Baumaterials und des Konstruktionsprinzips für die Erscheinung des Gebäudes (Holz- Skelett, Holz- Blockbauweise, Lehmbauweise: plastische, weiche Form, Stein, Stahlskelett: scharfkantig, präzise Erscheinung usw.). Die traditionellen Bauformen werden durch das Klima und die natürlichen Ressourcen (Baumaterialien) bestimmt. Die Dachformen und die Belüftungssysteme sind eine Folge der Temperaturen und der Regenhäufigkeit. Moderne Bauformen werden durch neuartige Bautechnologien geprägt.

Beispiele

Architektur und Konstruktion

Einfache traditionelle Häuser und Strukturen aus Europa und Afrika; Baumaterialien: Tuch, Holz, Lehm, Stein

Symbolische und kultische Architekturen

Minarett in Samarra; Kirche von St. George in Lalibela; Tempel des Himmels in Peking; Innerer Schrein von Ise auf der Insel Honshou in Japan

Architektur und moderne Konstruktion

Baumaterialien Stahl: Farnsworth House von Mies van der Rohe; „Glass House“ von Philip Johnson, Gallerie in Yugawara von Toyo Ito, Haus in Tsuyama, Ojayama von Toru Murakami, Shigeru Ban; Sommersitz bei Tokyo; moderne Baustoffe

Architektur und Kontext

Baiao Haus von Souta de Moura; Haus Kalman von Luigi Snozzi; Berkowitz House von Steven Holl

Architektur und Collage

Winton Guest House, Frank Gehry

Symmetrie und Figur

Esherick House von Louis Kahn

Architektur als Zeichen und Objekt

Kapelle in Graubünden, Peter Zumthor; Haus Bianchi von Mario Botta

Architektur und Typologie

White U von Toyo Ito

Architektur und Licht

Steven Holl, Kapelle St. Ignatius

 

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05. Körper und Raum

Das menschliche Augenpaar hält das Räumliche durch die flächenhafte Form der Augenlinsen fest. Durch die Verarbeitung der Information im Gehirn werden die flächenhaften Informationen wieder zu dem räumlichen Bild zusammengefügt. Zum Verständnis werden Teilinformationen, bedingt durch die hohe Komplexität des Gesehenen, weggelassen und durch Informationen aus der Erinnerung ergänzt.

Eine Landschaft ist ein höchst komplexes Gebilde, welches nie auf einmal wahrgenommen werden kann. Auch bei der visuellen Aufnahme der Landschaft werden Dinge weggelassen, sonst bräuchte man eine Ewigkeit, all die Informationen zu verarbeiten, die sich einem bieten. Daher entsteht eine selektive und abstrahierende Wahrnehmung. Das Gesehene wird dann mit dem Vorgestellten, der Erinnerung, dem Gedachten so kombiniert, dass ein individuelles Wahrnehmungsbild entsteht. Dies führt zu der Vielfalt, dass tausend Personen dieselbe Landschaft unterschiedlich sehen, empfinden und zum Beispiel in Kunstwerken darstellen. Realität ist für uns was durch die visuelle Erfahrung ergänzt wird. Entscheidend ist nicht „was“ wir sehen, sondern das, was das Gedächtnis daraus macht.

Kunst- und Architekturrezeption wirkt über die persönliche Widerspiegelung der eigenen Emotionalität im künstlerischen Werk. Die Wahrnehmung dreidimensionaler Formen ist das Ergebnis des Abrufens von erlernten und erfahrenen visuellen Codes und der Kombination mit der emotionalen Interpretationen und Aufladung der aufgenommenen Bilder. Das Resultat ist die „Gestalt“. Aufgrund der persönlichen Prägung des „Bildergedächtnisses“ gibt es kaum eine objektive, universale und allgemeingültige Realität der visuellen Wahrnehmung von Umwelt und Architektur, sondern immer nur eine Annäherung über Konventionen und erlernte Regeln, in Musik und Architektur über Kompositionsregeln.

„Kunst“ spiegelt die Auseinandersetzung mit dem Transformationsprozess von der scheinbar objektiven und visuellen Wahrnehmung der Welt hin zur Verarbeitung in eine persönliche, individuelle Realitätswahrnehmung und der emotionalen Wirkung wider.

Dreidimensionalen Objekte lassen sich in ihrer Beschaffenheit, wie beim menschlichen Körper, nie im Gesamten, in allen Dimensionen betrachten und verstehen. Je nach Standort wirken Objekte ganz anders. Das Innere einer Struktur, eines Körpers oder eines Gebäudes kann für immer uneinsehbar sein. Der Zusammenhang von außen und innen, Körper und Raum ist schwer zu begreifen. Die Entwicklung von der Fläche zum Körper zum Raum im Körper lässt sich nur von bestimmten räumlichen Standpunkten aus erklären und wird nur über eine räumliche Bewegung des Betrachters nachvollziehbar.

Gestaltung in der Architektur ist das Verständnis und Spiel mit der Wahrnehmung von Körper und Raum. Die architektonische Form ist das Resultat des Wech­selspiels von Körper und der vom Körper umschlossenen Räume.

Zu unterscheiden sind die Gestaltungsprinzipien:

- verschiedene Volumen additiv und extrovertiert zu einer Körperkomposition zusammenzufügen,

- aus einem Gesamtkörper, über ein Subtraktionsverfahren, Räume in introvertierter Wirkung herauszuschneiden,

- aus einer Fläche einen Raum, eine Form und dann einen Körper zu falten,

- einen Körper durch äußere Kräfte zu deformieren,

- einen Körper durch Simulation von Bewegung oder Naturanalogien in Form und Konstruktion zu erhalten.

Die emotionale Kopplung von Räumen, Gegenständen, Farben mit prägenden persönlichen Erlebnissen und Atmosphären führt dazu, dass jeder Körper und Räume anders empfindet, begreift und beurteilt. Durch die emotionale Aufladung des „Bildergedächtnisses“ gibt es keine objektive, universale Wahrnehmung der Umwelt, sondern nur eine Annäherung über Konventionen, Codes und erlernten Regeln (z.B. Kompositionsregeln).

„Kunst“ spielt mit der „Ungenauigkeit“ der persönlichen Wahrnehmung. Kunstrezeption funktioniert über die persönliche Widerspiegelung der eigenen Emotionalität im künstlerischen Werk. Die figurative Deutung vieler Architekturen ist ein gutes Beispiel für eine inhaltliche Aufladung. Durch Wahrnehmungsaddition und Assoziationen werden architektonische Formen und Elemente wie Dach, Tor, Fenster plötzlich zu einer Figur, einem Gesicht oder zu Körperanalogien. Kunst ist ein Träger zur Übermittlung von Informationen, Repräsentation, Emotionen, Überzeugungen und deckt das menschliche Bedürfnis nach Kommunikation und Mitteilung. Die architektonisch besonders gestaltete Form erfüllt den Zweck der Kommunikation zwischen Teilen der Gesellschaft und ist immer Mittel eines Informationsaustauschs. Kunst und Architektur sind Informationsträger. Die architektonische Form ist die Umsetzung einer zu „kommunizierenden“ Information. Die architektonisch besonders gestaltete Form erfüllt den Zweck der Kommunikation zwischen Teilen der Gesellschaft, ist Mittel eines Informationsaustauschs. Nur durch die Formulierung einer inhaltlichen Aussage, eines Ausdrucks sowie des Verständnisses der Bedeutungen vom verwendeten architektonischen Vokabular und dessen gezielten Einsatzes entsteht eine qualitätsvolle Architektur. Die entworfene architektonische Form ist das Resultat der Kombination von Programm, Konstruktion, kontextueller Einfügung, emotionaler Bedeutung und dem Abruf visueller Codes. 

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06. Komposition

Entwerfen ist Komponieren. Komponieren ist die Anwendung von Proportionen. Proportion ist das Größenverhältnis verschiedener Teile eines Ganzen zueinander. Für das Schaffen der Gestalt eines Gebäudes ist die Anwendung von Komposition und Proportionsregeln als Teil des Gesamtkonzeptes eines Gebäudes neben funktionalen, konstruktiven, materialgerechten und kontextuellen Gesichtspunkten unabdingbar. Die Komposition ist die Anordnung von Inhalten und Gestaltungselementen und ihre Beziehung zueinander, namhaft der formale Aufbau von Architekturen. Architektur ist die Zusammenfügung architektonischer Elemente, unterschiedliche Teile nach der Definition eines Themas, bestehenden oder zu formulierenden Regeln, Ordnungen oder Gesetzen zu einem Ganzen und einer geschlossenen Wirkung.

Grundelemente

Die meisten Formen basieren auf wenige primäre Grundelemente. Auch komplexe Formen lassen sich in diese Grundelemente zerlegen. Aus diesen Basiselementen können einfache bis komplexe Formen zusammengefügt, „komponiert“ werden.

Primäre Gestaltungselemente:

- Punkt - Linie - Fläche - Volumen

Geometrische Grundformen Fläche, 2D:

- Quadrat - Rechteck - Kreis - Dreieck

Geometrische Grundformen Volumen, 3D:

- Quader - Kubus - Pyramide - Kugel - Zylinder - Kegel

Ordnungssysteme

Werden mehrere Elemente zusammengeordnet entsteht eine Gruppierung. Größere Gruppierungen bilden eine Struktur. Diese Strukturen unterliegen verschiedenen Gestaltungsprinzipien. Ordnungssysteme beschreiben den inneren Zusammenhalt und die Fügung von verschiedenen oder sich wiederholenden Elemente, die in einer Gruppierung angeordnet sind.

- lineare Organisation, Reihung, Wiederholung, Rhythmus

- Achsen- Struktur bei Symmetrien

- Hierarchische Ordnungen, Kontrast

- Symmetrie, figurative Organisation: Symbol

- Raster und Gitternetz

- Band- und Streifenstruktur

- additive Element Struktur (Modul)

- organische Wachstumsgesetze (z.B. Zahlenreihen)

- physikalische Form - Modelle (z.B. Atomstrukturen)

- Netzstrukturen

- freie Form Struktur, Collage

Harmonie- und Proportionslehren

Die Harmonie- und Proportionslehren dienen zur Beurteilung der Ver­­hältnisse eines oder mehrerer architektonischen Elemente untereinander oder des Verhältnisses der Raumteile zum Menschen. Wozu dient Proportion? Stichworte:

- Harmonie, „göttliche Ordnung“, Maßstäblichkeit

- Wirkung - Wahrnehmungs- und Kommunikationstheorien

- Ästhetik im Spannungsfeld zwischen dem rationalen (erhaben, über den Dingen stehend, kopfgesteuert) und dem emotionalen (Gefühl) Selbstverständnis.

Traditionelle Architekturlehren

Griechische Säulenordnungen - modulare Ordnungen

Primärformen + platonische Körper (Urhütte)

Klassik (Vitruv), Renaissance (Alberti), Renaissancetheorien

Idealraum von Palladio, Körperproportionen und Maß: da Vinci

Proportionsregeln

Proportionsschlüssel - Maßstab, Verhältniszahlen, Zahlenketten

Goldener Schnitt - Pythagoras

Rationalismus und Raster

Modulor - Le Corbusier

Tatami - Tan Modul, Japan

Kompositionsmethoden

1. Additives Zusammenstellen, -fügen, -stecken, -gruppieren

2. Subtraktives, „bildhauerisches“, Bearbeiten eines Körpers

3. Schneiden, Biegen und Falten einer Materialfläche zur Form

4. Deformation eines Körpers durch äußere oder innere Kräfte

5. Simulation, Nachzeichnung von Bewegung, Dynamik und Naturphänomenen

6. Naturanalogien in Form und Konstruktion, Formen der Natur

7. Entwerfen im rationalen Bezug zur Natur

Vokabular der architektonischen Eigenschaften

Oft ist das Ziel mit einer Komposition eine gezielte Ästhetik zu erzeugen und eine atmosphärische Wirkung beim Benutzer und Betrachter auszulösen. Architektonische Kompositionen und Räume haben eine emotionale Wirkung. Ähnlich wie bei der Beschreibung eines menschlichen Charakters lassen sich beliebige Begriffspaare finden, mit denen sich unterschiedliche architektonische Raumwirkungen sowie Atmosphären bei dem Nutzer oder Betrachter eines Gebäudes beschreiben lassen. Über die Komposition der Gebäudestruktur, der Innenräume und der Fassade lässt sich die emotionale Wirkung gezielt steuern. Dabei sind die Art- und Weise der Nutzung, der „Inhalt“ des Gebäudes und die Art der Repräsentation, die über die Architektur vermittelt werden soll, von Wichtigkeit.

Katalog der Gegensatzpaare, Antonyme

Ruhig - lebendig

schützend, behütend - offen, freigelegt

versteckt, verkleidet - herausgestellt

abgeschlossen, verschlossen - transparent, fließend

schweigsam, meditativ - kommunikativ

introvertiert - extrovertiert

sachlich - emotional

geometrisch - organisch

übersichtlich, überschaubar - labyrinthisch, wuchernd

geordnet - durcheinander, chaotisch

geplant - gewachsen

kompakt - locker

additiv, isolierend - durchdringend

einfach, reduziert - ornamental, verspielt

erdverbunden - himmelstrebend

gereiht - gestaffelt

statisch - dynamisch, bewegt, rhythmisch

schwer, gedrückt - leicht, schwebend

harmonisch, ausgewogen - dissonant

hierarchisch - anarchisch

eng, schmal - weit, ausgewogen

beängstigend - befreiend

 

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07. Grundrissplanung

Gestaltungsprinzipien Struktur

punktförmige Elemente; Haufen; lineare Elemente; Reihung; Rhythmus, Achsen-Struktur; Symmetrie; Ordnungssystem: Raster - Gitternetz; Ordnungssystem: Band- Streifenstruktur; Felder, additive Element Struktur; freie Form Struktur; Collage

Emotionale Aussage

Einflussgrößen: Konstruktion + System, Möblierung + Bewegungsflächen (Raumdetails), Gebäudegliederung, Erschließungsflächen, Nasskerne, vertikale Schächte

Grundrisse - die emotionale Wirkung

Form („Bild“) - emotionale Aussage (Wirkung)

- geometrische Figur

- geometrisch freie Struktur

- symbolische Bild- „Figur“

- organisch freie Figur

Begriffspaare im Bezug von innen und außen

geschlossen - offen

extrovertiert - introvertiert

geordnet - labyrinthisch

überschaubar - wuchernd

kompakt - flächig

durchdringend - raumisolierend

einfach - ornamental

reduziert - verspielt

rational - organisch

geometrisch - bewegt

Grundrissstruktur

Einzelne Wandteile (-glieder), fließender Raum

Einzelne Räume, ineinander geschoben, offen

Einzelne Räume, geschlossen

Einzelne Räume, addiert

Addition per Raster - Modul, - Baustein

Schachtelung von Räumen in Rahmenform

Gliederung Streifen, Band, längs oder quer, Funktionszonierung

Jeder Raum getrennt (durch Fuge, Fenster, Flur)

Jede Raumgruppe getrennt

Raum(-gruppen) durch Zwischenglieder (Flure, Räume) getrennt - Mehrfamilien­haus

Mischformen

Besondere Eigenschaften

„flexibles Wohnen“ - veränderbare „Raumzuordnung“; „durchwohnen“ - „Querlüftung“; Zimmer, einzelne Wohnungsteile oder ganze Wohnungen als „Modul“ oder „Baustein“; „Transparenz“ - räumliche Beziehung von Innen/Zwischenräumen zu Objekten oder Freiräumen außerhalb

Erschließungstypen

Durchgangsgrundriss:

a) alle Räume miteinander verbunden;

b) bestimmte Raum -gruppen miteinander verbunden

Zentraler Verteilerraum

a) Wohnraum als zentrale „Halle“

b) Verteiler Flur

c) Atrium (Hof-) Erschließung

Flur - Erschließungen:

a) 1-hüftig

b) 2-hüftig

c) 3-hüftig

Überlagerungen, Durchgangsgrundrisse mit potentiellen Flure

Grundrissvariationen Öffnung - Wand

Lage der Öffnung innerhalb der Wandfläche: mittig, außer-mittig, in Reihe, orna­men­tal, col­lage­artig usw.

Zwischen den Flächen (auch Oberlicht)

Wand als Figur

über - Eck

Raumbuch

Detaillierte Tabelle aller Nutzräume mit den Angaben zu:

Raumgröße, Raumhöhe, funktionale Anforderungen, Belichtung, Ausführungsdetails

Organigramm

Grafische Darstellung eines Raumprogramms mit seinen Raumbeziehungen in einem „Blasenmodell“.

Flächendiagramm

Grafik der Flächenverhältnisse aller Nutzräume oder der Programmbereiche in einer maßstäblichen Darstellung, abstrakte und additive Streifenstruktur, evtl. mit Darstellung von Erschließungsflächen, Aufteilung in „normale“ Räume und Sonderräume (z.B. Vortragssäle, Foyerzonen). Erste Ermittlung einer Grundrissgröße, auch als Modell denkbar.

Raumprogramm - Grafik

Kombination des Diagramms der Flächenverhältnisse und des Organigramms, jedoch mit maßstäblichen Flächen, fließender Übergang in eine erste, funktionale Grundrissform.

Grundrissplanung Struktur - Siedlungsformen

Die Entwicklung von Siedlungsformen führt in den letzten Jahrtausenden der Zivilisation vom Einzelhaus über die Haus- Gruppe zu ersten Siedlungsstrukturen bis zu komplexen Stadtgebilden und der neuzeitlichen Auflösung und Zerfall bzw. Rückentwicklung in Einzelglieder, eine zeitliche Abfolge:

- Einzelhaus

- Verstreute Einzelhaus Besiedlung, haufenartige Ballung

- Verstreute Einzelhaus Bebauung + Anbauten - Parzellierung

- Offene Straßen - Randbebauung

- Geschlossene Straßen – Randbebauung - Entstehung von Hoftypen als Automatismus der Verdichtung

Entwicklung der Bebauung in die Tiefe einer Parzelle

- Hof- Typ nach Süden orientiert - nach Ost-West orientiert

- Blockstruktur mit loser Bebauung

- Totale Bebauung, die maximal verdichtete „europäische Stadt“. Kontrast Masse - Objekt, Freistellung eines Gebäudes bei besonderer Nutzung

- Moderne Gegenbewegung, Zeilen, Punkte, offene Bebauung

- „Sprawl“, Grundmodul: Einzel-, Doppelhaus, „Clusterstruktur“

Nebeneinander lie­gende Großformen und unterschiedlichste Gebäudetypen sind nur durch Infrastrukturlinien zusammengebunden, die Siedlungsstrukturen wachsen fingerartig in die offene Landschaft hinein. Die alte „City“ nimmt in ihrer baulichen Dichte ab. Die nicht durch hohe Grundstückspreise gekennzeichnete, spekulativ verwertbare und sozial abgestiegene  Ringbereiche verwahrlosen und sind im Endzustand dem Verfall preisgegeben (extremes Beispiel: Detroit, USA).

- Informelle Stadtstrukturen, „Slum“, „Favela“

Ungeplante, illegale Siedlungen außerhalb der tradierten Rechtssysteme, hoch verdichtete, organische Strukturen, mit geringstem Materialaufwand erstellt und hoher Homogenität. Viele Beispiele gibt es in den Städten von Südamerika und Afrika. 

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08. Organisch - Rational

Wie ist bei einem Entwurf das konzeptuelle und theoretische Verhältnis zur Landschaft und zur Natur? Ist die gestalterische Reaktion auf Natur organisch/nachzeichnend oder rational/geometrisch geprägt? In der Entwurfsphase von Gebäuden entwickeln sich architektonische Ausdrücke oft aus einer Beziehung zur Landschaft und Natur. Entwurfshaltungen bewegen sich dabei zwischen „organisch“ definiert und beschriebenen oder „rational“ und geometrisch begründeten Strategien. In allen Facetten tauchen diese Haltungen und Denkweisen in den Architekturdiskussionen auf.

Die organischen Formensprachen basieren ursprünglich auf den Ergebnissen von Wachstumsprozessen und informellen Impulsen. Viele freie Formen kristallisieren sich durch Bewegungsabläufe. Klassische organische Strukturen reagieren auf Ort und Kontext mit dem Mittel der Anpassung. Organische Formen werden über die Simulation und Nachahmung gefunden. Vorbilder werden in der Natur gesucht und nachgeahmt. Verkehrsströme werden analysiert und im organischen Sinne abgebildet. Oft werden organische Formen mit Emotionen und einem expressiven Ausdruck verbunden, die Entwürfe nehmen einen Objektcharakter an.

Rationale Formensprachen basieren auf klassischen Architekturtheorien, den einfachen Geometrien, dem Ordnungssinn und den Proportionslehren. Der Bezug auf typologische und universale, ganzheitliche Prinzipien ist eine entwurfliche Strategie. Die Architekturen spiegeln eine rational-akademische Denkweise wider. Selbstbewusst werden die Architekturen als „autonomes“ Werk, das für sich besteht, betrachtet. Die Spannung wird aus dem Kontrast mit organischen Strukturen (der Natur) geschöpft. Wenn es einen Bezug zur Natur geben soll wird der Naturbezug abstrakt auf die Fläche über reiche Materialien und Texturen „gespiegelt“ oder klassisch über das Ornament hergestellt.

Viele Architekturen vereinen die Wesenszüge beider Haltungen. Ziel der Gebäudelehre sollte es sein zu vermitteln, wie man zwischen den Strategien flexibel wählen kann und dabei individuell auf den Ort, das Programm, die Funktion und die Bedeutung der Aufgabe reagiert.

Organische Struktur, Form

Ursprung

Nicht Form, Chaos

Entstehung aus Bewegung, Richtung und Dichte

Zielgerichtete Bewegung, Orte, Plätze

Ausbau eines Ortes, Treffpunkt

Agglomerationen unterschiedlicher Ereignisse (Siedlung)

Wachstum von Strukturen über größere Zeiträume

Bedingungen

Struktur

Morphologie

Klima, soziale Strukturen

Informelle Ereignisse

Prozessuale gesellschaftliche Entwick­lungen über längere Zeiträume

Unmittelbare Bedarfserfüllung

Motivation, Inspiration

Naturerfahrung, Naturbeobachtung

Gewachsene Strukturen

Natürliche Organismen

Naturwissenschaften

Entwurfsmittel

Bewegungsstudien

Simulation

Interpretation

Komposition

Symbolik, Zeichen

Beispiele organische Struktur - Form

Flüsse und Wege: natürliche Formen, bestimmt durch die Bewegungsgeschwindigkeit, Mäanderform bei Flüssen

Informelle Ballungen und Siedlungen entlang von Verkehrswegen

Wilde Campingsiedlungen, afrikanische Dorfanlagen

Organisch gewachsene Stadtstrukturen: Marrakesch, Erbil, Perugia, Nagasaki

Landwirtschaftliche Terrassenanlagen unter Ausnutzung der Topographie

Phänomene aus der Natur, Vorbild, Analogie Wald – Gotische Kathedrale

Natur als Inspiration: Wüste - Japanisches Center in Krakow, Isozaki; Guggenheim von Gehry in Bilbao; Formanalogie: „Gürteltier“ - Börse von Grimshaw, Assoziationsspiel

Rationale Struktur, Form

Ursprung

Rationale Planung

Abstrakte Organisation

Einheitlichkeit von Bedarf und Pla-nung

Wunsch nach Ordnung und Gesamtheitlichkeit

Bedingungen

Ausdruck eines übergeordneten Weltbildes z.B.: Religion Interpretation des Universums

Geometrie als Reflexion kosmischer Ordnung, ideale Anlagen, Ausdruck sozialer Strukturen

Bedarf der Verteidigung

Repräsentation, Reichtum

Mathematische Modelle als Ordnung der Natur

Schnelles Wachstum von Gesellschaften mit einem hohen Siedlungsdruck

Wissenschaftliche Entdeckungen und technische Entwicklungen

Motivation, Inspiration

Humanismus, Astronomie, Religion

Geometrie, Mathematik

Kontrast zur Natur, informelle Strukturen

Entwurfsmittel

Geometrisierung

Elementierung

Abstraktion, Komposition

Symbolik, Zeichen

Beispiele rationale Struktur - Form

Geometrische Einschnitte: Corinth Canal in Griechenland, Skulpuren von Michael Heizer und Richard Serra

Geometrische Verkehrs- und landwirtschaftliche Anlagen

Einfache Architekturen: Viadukt, Stonehenge, Burgen, Palastanlagen

Geometrische Stadtanlagen: Priene, Timgad, Peking, Versailles

Architektur: Katsura-Palast in Japan, Souta de Moura, Mies van der Rohe, Oswalt Mathias Ungers, Dominique Perrault

 

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09. Licht und Schatten

Die Wahrnehmung von architektonischen Räumen und Körpern wird erst durch das Licht und vom Licht geworfenen Schatten möglich. Architektonische Formen sind rational, mathematisch plan- und berechenbar, abstrakt beschreibbar und womöglich aus einer inneren Logik heraus vom Verstand geplant. Das natürliche Licht dagegen unterliegt einer unendlichen Vielfalt an visuellen, oft zufälligen und sich ständig dynamisch verändernden Erscheinungen. Erst durch die Licht- und Schattenwirkungen, zum Beispiel in der Bandbreite vom grellen Sonnenlicht mit harten Schatten bis zum nebligen Milchlicht oder dem Dämmerungslicht mit wolkigen Schattenfelder, werden abstrakte architektonischen Formen real, entsteht eine Atmosphäre, so wie wir Gebäude wahrnehmen. Allein der unterschiedliche Einfallswinkel der Sonne bei unterschiedlichen Tageszeiten lässt Gebäude jeweils völlig anders wirken. Erinnert sei dabei z.B. an die unzähligen Lichtstudien von Monet der Kathedrale in Reims, die die atmosphärische Einflussnahme des Lichts auf die Kirche untersuchen. Das bewusste Spiel mit Licht und Schatten führt zu einer unbegrenzten Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten. Es gilt beim Entwurf von Räumen die Wirkungen von Licht und Schatten zu beherrschen und gezielt einzusetzen. Licht kann Formen wie ein Scherenschnitt beschreiben und manipulieren, symbolisch wirken. Bei extremen Lichtverhältnissen verschwimmt der Unterschied von Materie, Licht, Schatten oder Dunkelheit (Blendung). Über Licht lassen sich Räume in Ihrer Wirkung steuern und manipulieren. Licht ist durch seine unendliche Vielfalt an Steuerungsmöglichkeiten ein Mittel der Rauminszenierung. Dabei ist die Manipulation ist das grundlegende Element jeder Inszenierung. Erschließungswege können gelenkt, besondere Raumdramaturgien erfunden oder besondere Punkte in Innenräumen kompositorisch herausgestellt werden. Über Schattenwirkungen lassen sich Flächen, plastisch geformt, auf unterschiedlichste Art und Weise strukturieren und gliedern. Wände können aber auch eine reine Reflektionsfläche für Schattenspiele darstellen.

Die Fassade ist mit Ihren Öffnungen die Membran zwischen Innen und Außen und die räumliche Schwelle. Das in die Innenräume einfallende Licht wird über die Fassadenöffnungen gesteuert. Das Spannungsverhältnis von innen und außen kann durch eine gezielte Lichtführung dramatisiert werden. Grundsätzlich wird unterschieden in: direkte Belichtung mit harten Schattenkanten bei Sonneneinfall und indirekte Belichtung, Führung des Lichts über Reflektionsflächen, gestreutes Licht, weiche und wolkige Schatten. Leider wird das Potential von Licht und der Lichtführung oft nur bei ausgewählten Museumsbauten angewendet. Dabei lassen sich schon bei einfachen Gebäuden über die gezielte Platzierung von Fenstern mit unterschied­lichen Laibungen und Wanddicken, Fensternischen, Oberlichter usw. bewusste Wirkungen erzielen.

Nicht zu trennen von der Wirkung des Lichts und des Schattens ist die Wirkung von Farbe und Materialien. Es gibt Materialien, deren Farbigkeit je nach Lichteinfall völlig anders wirken kann. Farbflächen können nur bei einer gezielten Ausleuchtung Ihre völlige Wirkung erlangen. Dunkle Farben und poröse Materialien können die Wirkung von Licht und Schatten geradezu „aufschlucken“.

Kunstlicht

Das Kunstlicht bildet die zweite Ebene der Gestaltung mit Licht. Der Auswahl von Leuchten, Lampen kommt eine große Bedeutung für die Wirkung eines Raumes, nicht nur zur Nachtzeit, zu. Denn die gestalterische Wirkung der Leuchtenform ist in einem Raum sehr präsent, auch wenn die Leuchten gar nicht angeschaltet sind. Gestaltungsebenen sind die Formen der Leuchten, die Anordnung und Verteilung, und die Art des Lichts. Dabei ist vornehmend die Strahlform und die Farbe des Lichts zu bestimmen. In der Lampenform ist zu unterscheiden zwischen Einbau- und Objektleuchten, Anbau- Hänge- Wand- Decken und Standleuchten. Der Lichtaustritt kann direkt und indirekt erfolgen. Über Reflektoren und unterschiedlich mattierten Abdeckungen kann die Intensität und die Abstrahlrichtung der Leuchten gesteuert und gelenkt werden. Der Lichtaustritt kann punkt-, linear- oder flächenhaft entsprechend der Raumgeometrien gestaltet werden. Sollen die Lichtquellen versteckt sein und in den Wänden aufgehen, müssen diese als Einbauleuchten geplant und in den Rohbauteilen dann  entsprechen frühzeitig Aussparungen vorgesehen werden. Da meist mehrere Leuchten gestaffelt angeordnet sind, lässt sich über die Ausrichtung und einem Rhythmus der künstlichen Beleuchtungselemente bewusst eine Raumwirkung akzentuieren und inszenieren. Ein weiteres Gestaltungselement ist farbiges Licht. Lichtquellen können sogar die Farbe verändern.  

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10. Entwurf und Konstruktion

Die Konstruktion stellt das Grundgerüst eines Gebäudes dar. Sie ist immer vorhanden und spürbar, mal eher verdeckt im Hintergrund mal offen, strukturell sichtbar. Sie kann das ganze Haus in der Erscheinung bestimmen. In den primitiven Behausungen war Architektur ursprünglich gleichbedeutend mit der Konstruktion des Hauses. Die Konstruktion ist das Haus; das Material des Hauses ist die Konstruktion. Konstruktion und Material standen in einem direkten, untrennbaren Zusammenhang. Traditionelle Bau­formen basieren auf das Klima und den natürlichen Ressourcen. Dadurch wurden die Auswahl des Baumaterials, Konstruktionsprinzips und damit die Erscheinung vorbestimmt. Die Dachformen und die Belüftungssysteme sind eine Folge der lokalen Temperaturen und der Regenhäufigkeit. Mit der zunehmenden Komplexität der Architektur im Laufe der Geschichte und der Zunahme der Informationsmenge, die über die Architektur visuell transportiert werden musste, nahm die visuelle Bedeutung der Konstruktion ab und wurde überlagert durch das Verkleiden und informative Aufladen der Baukörper. Der logische Zusammenhang zwischen der Konstruktionsweise, dem Konstruktionsmaterial und der Form ist prägend. Architektur ist eine Symbiose aus Material, Konstruktion und Form, ein Resultat der funktionalen und konstruktiven Bedingungen. Die zu jeder Zeit aktuelle Bautechnik mit Ihren jeweiligen Innovationen und neuen Baumaterialien mit Ihren spezifischen Eigenschaften, erweitern simultan die Architektursprachen und Ästhetik und bestimmen in jeder Epoche die Form von repräsentativen Großbauten, seien sie gesellschaftlicher oder infrastruktureller Natur. Die vorhandenen Technologien werden gerne monumentalisiert und dramatisiert. Heute bestimmen Skelettbauten, vorgespannte Bauteile, vorgefertigte Bauelemente aus neuen Materialien die konstruktive Richtung und erweitern die formale Architektursprache. Die römischen Großbauten wurden erst durch die Entwicklung einer betonartigen Materials möglich. Die Gotik konnte erst entstehen, nach dem in vielen Versuchen die konstruktiven Möglichkeiten von Stein ausgereizt worden sind. Die Kristallpaläste im 19. Jahrhundert wurden erst durch die Glastechnik und einer Elementierung der Eisenbauteile möglich. Das Opernhaus in Sydney von Jörn Utzon konnte mit seinen Stahlbetonschalen erst errichtet werden, nachdem die technischen Möglichkeiten der statischen Berechnung von Schalen geschaffen waren. Seit kurzem erweitern Programme und von Computer gesteuerte Maschinen die Möglichkeiten der Materialverarbeitung und erweitern so das Formenvokabular. Um bei einer Konstruktion mit möglichst wenig Material auszukommen wird beim Konstruieren gerne die Natur als Vorbild und für Analogien genommen. Die Tragstrukturen wirken als Skulptur. Die Konstruktion bestimmt primär die Art und Weise des Umgangs mit der Schwerkraft und der Ableitung des Gewichts eines Gebäudes in die Fundamente. Die Fassaden sind die Versinnbildlichung des Umgangs mit der Schwerkraft. Grundsätzlich sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden:

1. Das Zeigen, Widerspiegeln, Thematisieren, der spielerische Umgang der direkten Kraftableitung und der Lasten, „Tektonik“, konservative Haltung mit den Eigenschaften Solidität, Vertikalität, Massivität, Schwere, Versinnbildlichung einer „traditionellen“ Sprache in Erinnerung an handwerksbasierte Konstruktionsformen, Betonung der durch Druck beanspruchten Bauteile.

2. Spiel im Kontrast zur Wirkung der Schwerkraft bis zur Negation, Ausreizung der Konstruktion über leichte, filigrane, schwebende Wirkungen (als das tatsächliche Gewicht impliziert), hohe Spannweiten, Auskragungen, Analogien zu technischen Bauwerken wie Brücken oder Kräne, Betonung der Horizontalität, der durch Biegung und Zug beanspruchten Bauteile.

Durch die Berücksichtigung der Materialeigenschaften auf eine ehrliche und logische Art- und Weise ergeben sich traditionell die Form und die Textur einer Fassade in der Fläche. Die Form der Öffnungen ist durch die Wahl der Konstruktion vorbestimmt, so resultieren Rundbögen beim Mauerwerk aus dem konstruktiven Zwang nur über Druckkräfte abzuleiten. Eine gestalterisch archaische Wirkung und konstruktive Expressivität wird ab der industriellen Revolution gerne durch eine unmittelbare Wirkung der Materialien, einer Gliederung der Struktur in „Haut“ und „Knochen“ erzielt. Beim Skelettbau wird in tragende und nichttragende, „dienende“ sowie vorgehangene Bauteile unterschieden. Die Architektur wird als minimalistische, sprachlich uncodierte, raue Umsetzung der konstruktiven Bedingungen, fast wie in den frühen primitiven Bauten der Zivilisation, gesehen. Architektur ist als Informationsträger nicht mehr so relevant wie früher, da tritt die Konstruktion wieder in den Vordergrund.

Moderne Bauweisen, spezielle Nutzungsanforderungen zur Belichtung, Belüftung sowie bauphysikalische Forderungen führen heute zu einer inhaltlichen Trennung und Loslösung der Fassade von der Konstruktion. Beim Entwurf der Fassaden entsteht eine große Freiheit und Bandbreite der gestalterischen Optionen. Inwieweit die Konstruktion des Gebäudes und die baukonstruktiven Ausformulierungen die innere Struktur widerspiegeln liegt im Ermessen des Entwerfers. Gute Architektur basiert auf einer klaren Ordnung und wird durch klare, logische Konstruktionsstrukturen erzeugt. Konstruktion ist die logische Folge von Gestaltvorstellung und  Entwurfsgeometrie. Die Konstruktion sollte der Form dienen, nicht umgekehrt. Ein Primat der Konstruktion, die „ehrliche Konstruktion", ist zu reflektieren. Man macht sich beim Anblick eines anderen Menschen kaum Gedanken, wie dessen Skelett konkret beschaffen sein mag. Es muss nicht zwangsläufig bei einem Haus die Konstruktion zu erkennen sein, diese kann auch ein zu entdeckendes Geheimnis sein. Tragkonstruktion und die Haustechnik sind dienende Elemente, die als Selbstverständlichkeiten nicht zwangsläufig herausgestellt werden müssen. Ein Haus ist ein Haus und keine Maschine, Form und Gestalt werden ebenso durch die Nutzung, Komposition und städtebaulicher Einfügung bestimmt.

Baukonstruktion

Baukonstruktion ist ein Teil der Konstruktion. Sie bestimmt die Umsetzung des Entwurfs im Detail, die Fügung der einzelnen Elemente untereinander, setzt die ästhetischen, gestalterischen Ansprüche an das Material in die Realität um und verbindet Bauphysik, Bautechnik, Produktentwicklung und Handwerk miteinander. Durch die fortwährende Änderung und Fortentwicklung von technischen Regeln, Normen, Produkten sowie die Unterschiedlichkeiten der Verordnungen und Normen in den einzelnen Ländern, sollte nicht das Abarbeiten von Details im Vordergrund stehen, sondern die Fähigkeit der Informationsbeschaffung, deren Interpretation sowie das Verständnis für die übergreifenden Fragestellungen, um dann entsprechende Problemlösungen zu entwickeln. Baukonstruktion kann anfangs als ein Spiel mit zu definierenden Regeln gesehen werden, wie sich aus wenigen Materialien erst eine Struktur und dann ein raumüberspannendes Tragwerk formen lässt.

Entwurfsabfolge Konstruktion

- Bestimmung Konstruktionsmaterial

- Bestimmung des aus dem Material resultierende Konstruktionsprinzips: tragende Wände / Skelettbau / Mischsystem

- Entwicklung einer Elementierung oder Modulisierung der kleinsten Bauelemente bis zur Struktur des Gebäudes

- Wahl der Aussteifung: Wandscheiben, Kerne, Einspannungen, Fassaden

Bestimmende Faktoren für die Art und Weise der Konstruktion

- handwerkliche oder industrielle Verarbeitungsfähigkeiten

- konstruktive Eigenschaften der Baumaterialien

- Eigengewicht der Konstruktion + sekundären Bauelemente

- Zug- oder Druckfestigkeit der Konstruktion

- flächige- massive Verwendung oder skelettartige Bauweise

- Empfindlichkeit gegenüber Wettereinflüssen, Wasser

- Funktion: Flexibilität, Raumgrößen, Deckenspannweiten

- Haustechnik, Trassenführungen

Baumaterialien + Konstruktionsweisen

- „Leichte“ Materialien: Textilien, Flechtwerk (Schilf)

- „Landschaftliche“ Materialien: Lehm, Holz, Bambus, Stein

- „Industrielle“ Materialien: Beton, Stahl, Stahlbeton

- „neue“ Baumaterialien: textile Materialien, Kunststoffe, Verbundstoffe  

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11. Form - Inhalt

In der Betrachtungsweise von Architektur kann man unterscheiden zwischen „Form“ und „Inhalt“. Als Form wird die Hülle, die Fassade, das Körpervolumen, das „Äußere“ bezeichnet. Auf der anderen Seite steht der Inhalt, definiert durch das Raumprogramm, der Nutzung, der inneren Struktur und Ordnung, der Konstruktion und die gewünschte Raumwirkung mit den Polen introvertiert und extrovertiert. Die Form und der Inhalt stehen in Wechselwirkung. Die Wechselwirkung wird beschrieben durch die räumlichen Beziehungen von innen und außen, die „Aussage“, Bedeutung der Form und den Informationen über den Gebäudeinhalt vermittelt durch Beziehungen, Referenzen, Zeichen und Symbole. Der Entwurf ist die Suche nach der inneren Logik der architektonischen Form. Die äußere Form kann dabei als Verpackung wirken oder eine Widerspiegelung der inneren räumlichen Struktur sein. Ideal ist, dass Form, Raum und Inhalt ein Ganzes bilden. Die Architektur ist eine Symbiose aller Aspekte. Das Ziel jeder Aufgabe ist die Logik der Wechselwirkung Form - Inhalt zu ergründen oder anders gesagt, die Fragestellung: wie wirken sich das Raumprogramm, die innere Ordnung und Konstruktion, die innenräumliche Atmosphäre (introvertiert - extrovertiert) und die Bedeutung eines Gebäudes auf die von außen lesbare Form aus?

Aus der Form - Inhalt Diskussion ergeben sich Kriterien für eine Architekturkritik- und Beurteilung, insbesondere der Fassaden. Die Ausformulierung eines Architektur und Entwurfsprogramms mit spezifischen Themen, die sich aus theoretischen, konzeptuellen, kompositorischen oder gesellschaftlichen Aspekten entwickeln reizt viele bekannte Architekten. Ziel ist oft eine einmalige, wieder erkennbare, spezifische Architekturform aus den „Architekturprogrammen“ heraus zu entwickeln.

Anhand von drei Architekten, die durch theoretische Arbeiten und Veröffentlichungen programmatisch Architekturthemen formulieren und an eigenen Bauten umgesetzt haben, wird die Form - Inhalt Diskussion exemplarisch erläutert.

Venturi-Scott-Brown beschreiben in dem Buch „Learning from Las Vegas“ Thesen zu dem Bereich Architektur und Ausdruck, entdecken die Zeichen und Symbole des „Strips“ bzw. Highways und formulieren einen Gegensatz von dem „dekorierten Schuppen“ zur architektonischen „Ente“.

Auffassung I: der dekorierte Schuppen

Das Haus ist ein funktionaler „Schuppen“, konstruktiv durchgearbeitet und mit einem losgelösten Zeichen am oder neben dem Gebäude versehen, auf dem sich ein Hinweis auf den Inhalt des Gebäudes befindet - der „dekorierte Schuppen“. Ein Haus mit Zeichen. Bei größeren Baumassen ist die Struktur eine einfache funktionale Reihung mehrerer Schuppen. Der Inhalt wird über eine Dekoration vermittelt.

Auffassung II: die „Ente“

Das ganze Haus ist in seiner Form ein Symbol oder ein Zeichen - die „Ente“, benannt nach einem Geflügelimbiss, der die Form einer Ente hat. Die Entenform verweist direkt auf den Funktionsinhalt des Gebäudes. Allgemein entspricht die Form einem übergeordneten Sinnbild, sie möchte etwas widerspiegeln oder steht für einen funktionalen Inhalt. Fast alle organischen Architekturen beziehen sich zum Beispiel auf übergeordnete Themen wie Naturinspiration oder Natursimulationen, eindeutige „Enten“. Paradebeispiel für eine Formanalogie ist der TWA Flughafenterminal von Eero Saarinen in New York. Das Gebäude weckt Assoziationen an einen Vogel.

Erstaunlicherweise ist bei Venturis, Scott Browns eigene Bauten der Dekorationsbegriff recht weit gefasst. Plastisch stark durchformulierte Fassaden, oft in symmetrischer, klassischer Ausprägung, sind vor, zur äußeren Form nicht im direkten Bezug gesetzten, Grundrissen gestellt, z.B. bei seinem „Haus der Mutter“. Viele Entwürfe transportieren über die Fassade fremde Inhalte, wie eine klassische Repräsentationsordnung, vor eher einfachen Raumabfolgen. Die Entwürfe lassen durchaus einen Widerspruch von Form und Inhalt zu, bzw. fordern Ihn geradezu heraus. Venturi Scott Brown sehen sich da im Gegensatz zu dem vulgären Funktionalismus der sechziger Jahre, wo die Form sich nur aus den funktionalen Zusammenhängen generiert, Fassade nur Umsetzung der Technologie bedeutet.

Le Corbusier beschreibt in seinem Buch „Ausblick auf eine Architektur“ die „Fünf Punkte der neuen Architektur“: 1. Stützen (Pilotis), 2. Dachgarten, 3. Der freie Grundriss (plan libre), 4. Bandfenster, 5. Die freie Fassade, als ein logisches Resultat der modernen Konstruktions- und Produktionsweisen. Er vergleicht das Schaffen von Architektur mit der Entwicklung der funktional- technologisch entworfenen Verkehrsmittel wie Dampfer, Flugzeug und Autos. Bei einigen Villen in den zwanziger Jahren entwickelt er die Idee der „Architekturpromenade“, einem inszenierten Weg durch das Gebäude von Vorplatz über Eingang, verschiedenen Hallen hin zu einem Endpunkt auf dem Dach. Die Idee der „Architekturpromenade“ findet sich bei fast allen Gebäuden von Le Corbusier wider.

Adolf Loos entwickelte ein Raumsystem, den „Raumplan“. Autonome Räume sind, entsprechend ihrer Bedeutung und Komposition, frei in ihrer Größe, offen in eine strenge Gesamtform gelegt. Die Raumhöhe ist nach Nutzung und Bedeutung differenziert. Die Treppen sind ein Teil der inneren Raumstruktur. Es ergeben sich Durchblicke zwischen den unterschiedlichen Raumzonen in der Vertikalen und Horizontalen. Bei vielen gebauten Villen in Österreich und Tschechei werden die Raumvorstellungen umgesetzt.  

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12. Subtraktion als Entwurfsprinzip

Der übliche Weg zu entwerfen ist das additive Zusammenfügen mehrerer Einzelteile,  z.B. Sockel, Wände, Decken, Dach, Vordach, Fenster oder Räume und Raumgruppen usw. unter Berücksichtigung verschiedener Kompositionsmöglichkeiten oder Konstruktionsweisen zu einem Gebäude.

Eine grundsätzlich andere Möglichkeit ist, den Entwurfsprozess als ein Wegnehmen, Wegschneiden, als ein Subtrahieren von Masse aus einem fixierten Gesamtvolumen zu begreifen.  „Raum“ entsteht über dem Wegschneiden aus der „Gebäudemasse“. Fenster sind nicht auf die Fassade „aufgesetzt“, sondern sind genauso wie die Innenräume, einer Eingangshalle oder Loggien aus dem massiven, „schweren“ Gesamtvolumen herausgeschnitten. Das Gebäude wird durch diese Methode von Anfang an als eine Einheit, eine Gestalt betrachtet.

Der Ausdruck und die emotionale Wirkung der entstehenden Architektur verschieben sich von figürlichen zu abstrakten, oft introvertierten, meist kubistisch anmutenden Formen. Es ent­steht ein Spiel mit dem Raum: positiv - negativ, Figur - Grund, Masse - Leerraum. Die stehen bleibende Wandmasse oder die Räume wirken als Figur. Im Entwurfsprozess kann die Betrachtungsweise der Räume umspringen. Die zu planenden Räume werden nicht mehr als „Hohlräume“, sondern als Volumen betrachtet, die man wie Bausteine gleich frei in einer imaginären Hülle positionieren kann. Die Hülle ist die äußere Begrenzung des Körpers, die Fassaden. Für dieses Entwurfsprinzip müssen die klassischen Herangehensweisen, das horizontale Denken in Grundrissen und das meist anschließende vertikale Stapeln (der Geschosse), aufgegeben werden. Es wird ersetzt durch ein dreidimensionales Erfassen des Gebäudes und der inneren Raumstruktur. In Grundriss und Schnitt muss gleichzeitig und gleichberechtigt entworfen werden. Die grafische Wirkung von Schnitt und Grundriss nähern sich an.

Die Entwurfsmethode des subtrahierenden Entwerfens kann Studenten von bildhaften Vorlieben und festgefahrenen Codes ablenken und in der Herangehensweise auflockern. Anhand von historischen, bei denen die Wirkung des Raums im ausgeschnittenen Sinne mehr eine unbewusste Folge von schweren, massiven Baumaterialien und dem Klima ist und modernen Beispielen wird aufgezeigt, wie es bei vielen Gebäuden und Architektenhandschriften möglich ist das Prinzip der Subtraktion zu erkennen und nachzuvollziehen. Es ergeben sich bei den Innenräumen oft labyrinthische, in sich gekehrte, introvertierte und scheinbar ein Geheimnis verbergende Raumsituationen. Klassische Beispiele sind Burgen, Kirchen und Moscheen. Ein sehr gutes Beispiel aus der klassischen Moderne ist Adolf Loos, dessen „Raumplan“ das Potential von introvertierten Raumgefügen mit unterschiedlichen Raumhöhen beschreibt und zugleich aufzeigt, wie sich Einrichtungsgegenstände weitgehend und dafür eignet sich dieses Entwurfsprinzip hervorragend, in die Wände integrieren lassen.

Das Prinzip der Subtraktion lässt sich auch in mittelalterlichen, europäischen oder islamischen Stadtstrukturen wieder erkennen. Die öffentlichen Straßen, Plätze, und Gebäudeinnenhöfe und auch zum Beispiel die öffentlichen Kircheninnenräume sind aus der städtischen „Masse“ herausgeschnitten. Es entstehen allseits von Häusern, Fassaden und Wänden umschlossene Räume. Die ganze Stadt wirkt wie ein großes labyrinthisches Haus, manchmal umschlossen von massiven Stadtmauern, lediglich der Blick zum Himmel ist frei. Im extremsten Fall bilden die Stadträume eine Fortsetzung des labyrinthischen Innenraums der Häuser. Stadt und Haus bilden eine gestalterische Einheit. Endpunkte und prägendes Element der Stadtstruktur bilden meist private Höfe, die vom öffentlichen Raum nicht sichtbar sind. Beim Städtebau ist das Prinzip „Subtraktion“ ein gutes Entwurfsmittel um sich an eher klassisch wirkende Stadtstrukturen anzulehnen. Die Stadtstrukturen nehmen dann meist die Form von Blockstrukturen an und sind mit eher geschlossenen Stadträumen in die Abfolge Platz - Straße - Hof gegliedert.

Beispiele

Kirche Sant Agnese in Rom - ein barocker, bewegter Grundriss ist aus einem massiven „Körper“ herausgeschnitten.

Torbogen in Rom

Pyramide in Ägypten, Grabkammern - in der monumentalen geometrischen Grundform sind die Gänge und Grabkammern versteckt.

Petra in Jordanien - Tempel, Wohnhäuser sind aus dem massiven Fels „geschlagen“.

Kirchen in Lalibela in Äthiopien - eine Kirche ist aus dem Felsen geschlagen und hat in der Aufsicht die symbolische Kreuzform.

Plan von Rom - ein Beispiel für subtrakitiven Städtebau der mittelalterlichen Stadt

Eduardo Chillida: Skulpturen - die Skulpturen zeigen kraftvoll die ästhetische und emotionale Wirkung des bildhauerischen Prinzips der Subtraktion auf.

Almorawidischer Kuppelbau, Marrakesch

Louis Kahn: Wasserturm in Ahmedabad, Pakisten; Schulgebäude; Parlamentsgebäude; First Unitarien Church and School in Rochester, New York

Charles Correa: Hochhaus in Bombay; Britisch Council in Indien; Institutsgebäude

Peter Zumthor: Thermalbad in Vals, Schweiz

Le Corbusier: Maison Curuchet in Argentinien

Michael Wilford: Britische Botschaft in Berlin

Tadao Ando: Nakayama-Haus, Nara

Mario Botta: Haus Bianchi

OMA, Rem Koolhaas: Bibliothek de France in Paris, Wettbewerbsentwurf - das Prinzip der Subtraktion von Räumen aus einer „Masse“ wird bei dem Wettbewerbsentwurf auf eine konzeptuelle Ebene gehoben.  

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13. Addition als Entwurfsprinzip, Collage

„Die Collage schafft durch verfremdende Zusammenstellung vieldeutiger Realitätselemente sinnfällige Gleichnisse eines absurden Weltbildes“ (Brockhaus).

Der Begriff der Collage hat seinen Ursprung in der Malerei der Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts und wurde begleitet durch Ergebnisse der Sprachforschung, die sich in den Bil­dern und Skulpturen der Surrealisten niederschlugen. Im aktuellen Kulturbetrieb, besonders in den modernen Medien, Fernsehen, Wer­bung, Popmusik (Sample), Mode aber auch beim Theater, ist das Prinzip der Collage als ein Startpunkt des kreativen Prozesses nicht wegzudenken. Die klassischen Mittel  der „Bricolage“ sind Schere und Kleber. Vor der Industrialisierung war es beim Architekten, Baumeister oder des Künstlers die Reise nach Italien, Ägypten mit dem Skizzenbuch. Bevor die visuelle Darstellung auf transportablen Medien entwickelt war wurden ganze Architekturfragmente, z.B. von antiken Säulen oder deren Handwerker importiert. Heute jedoch sind das treibende Mittel der Collage der Computer und die entsprechenden Programme sowie die sekundenschnelle Verbreitung von Inhalten über das Internet. Im Gegensatz zu den Printmedien sind Konzepte, Ideen, Bilder nun überall global verfügbar. In der Folge der Postmoderne und baukonstruktiver Umwälzungen in den Siebziger Jahren ist eine Vielfalt unterschiedlicher Architekturstile und -haltungen entstanden. In der Alltagsarchitektur wird entsprechend zwischen den Stilen, ohne Rücksichtnahme auf die baukonstruktiven und traditionellen Ursprünge, gewechselt. In der Stilgeschichte der Architektur steht am Anfang neuer Epochen, in den Zeiten kultureller Umbrüche oft das collageartige Übernehmen von Architekturelementen aus vorhergehenden oder fremden Kulturen. Im Laufe der Zeit werden diese Formelemente transformiert, ihnen eine neue Bedeutung zugeschrieben und am Ende steht dann eine einheitlich wirkende Architektursprache. An den Nahtstellen zwischen den kunsthistorischen Abschnitten lässt daher sich meist ein reger Austausch zwischen den unterschiedlichen Kulturen feststellen. Die Arbeitsart der Collage basiert auf einer kulturellen Offenheit und ist zugleich ein Wesenselement der populären Kultur und von Gesellschaften im Umbruch.

Im Gegensatz zu der zuletzt vorgestellten Entwurfsmethode „Subtraktion“, die mehr einer formalen Sichtweise entspricht, ist das Konzept der „Collage“ eine freie und offene Form, um den Prozess des Gebäudeentwurfes zu starten. Das Prinzip der Collage, das Zusammensetzen einer Struktur aus verschiedenartigen, vorgegebenen Dingen unterschiedlichen Ursprungs und Stils, hilft bei der ersten Ideenfindung, dem „Brainstorming“ und dem experimentellen, nicht durch vorbestimmte Codierungen festgelegten Entwurfsprozess. Die Arbeitsweise der Addition eignet sich gut als Startpunkt für einen Transformationsprozess, an dessen Ende das additive Collageprinzip oft nicht mehr zu erkennen ist.

Der Entwurf kann in eine organisch anmutende, manchmal extrovertierte, surreale Architektursprache münden. Klassiker wie die Römischen Bäder von Schinkel, die Villa Malaparte oder Villa Savoiye bedienen sich dieser Strategien. Bevorzugt eignet sich das Collagieren bei Gebäuden mit charakteristischen und unterschiedlichen Gebäudeteilen und Raumgruppen. Den ein­zelnen Programmteilen werden dabei besondere Bedeutungen und Ausdrücke zugeordnet. Die Unterschiedlichkeit der Baugruppen kann durch geometrische Verdrehungen untereinander verstärkt werden. Muss ein komplexes Raumprogramm in ein topographisch stark geformtes Gelände oder in eine schwierige Bestandssituation eingefügt werden, eignet sich die Methode der Collage um die zu entwerfenden Gebäude auf eine vorsichtige und sensible Art und Weise in die Struktur einzupassen. Die entstehenden Gebäude reagieren dabei im organischen Sinne auf die vorgefundene Situation. Historische Collagestrukturen, z.B. das antike Rom, lassen sich hervorragend durch die Analyse der besonderen topographischen Gegebenheiten erklären.

Mittels des Collage- Prinzips lassen sich gut entwurfliche Ängstlichkeiten und eine Verhaftung in der Geometrie vermeiden. Der Zwang alles im rechten Winkel zu gestalten wird überwunden. Das wiederholte Verwenden von minimalistischen Formen lässt sich durch eine mutigere Herangehensweise ersetzen. Die Collage ist Ausgangspunkt für eine extrovertierte und eine organische Architektursprache.

Beispiele

Gemälde von Richard Hamilton: „Was ist das nur, was das moderne Leben so anziehend macht?“, Collageprinzip in der Popart als Persiflage auf das „moderne“ Leben.

Skulptur von Claes Oldenburg: Wäscheklammer in Philadelphia, Verfremdung eines Alltagsobjekts durch Vergrößerung in monumentale Dimensionen.

Max Ernst: Two children are threatend by a Nightingale, Gemälde 1924, Collagetechnik ersetzt traditionelle Maltechniken um eine übernatürliche Geschichte zu erzählen.

Rom: Der Grundriss des antiken Roms gilt als Beispiel für eine städtebauliche Collage.

Hadrians Villa: autonome, geometrisch organisierte Einzelteile sind zueinander gedreht angeordnet (auch bedingt durch die Topographie).

Frank Gehry: Main Street, Kalifornien, Bürogebäude für eine Werbeagentur, Winton Guest House, Paradebeispiel für eine Collage, jeder Raum erhält eine eigenständige Form und Materialverkleidung, die Verdrehung der Räume untereinander steigert die Autonomie der einzelnen Teile.

Le Corbusier: Kapelle von Ronchamp 1950 - 54, expressiver Kirchenbau, bei dem man in Teilen collagehafte Entwurfselemente erkennen kann, die als Symbole verwendet werden.

Casa Malaparte auf der Insel Capri, Italien, 1938-1994, Architekt der ersten Planung: Adalberto Lieberas, Bauherr: Cursio Malaparte

Cursio Malaparte war ein Schriftsteller und Journalist, der sich selbst ein Haus als Gesamtkunstwerk errichtet hat. Das Gebäude unterlag im Bauprozess ständigen Veränderungen, bevor es seine endgültige Form erhielt. Das Haus setzt Assoziationen zu einem gestrandeten Schiff oder einem liegenden Körper frei und wirkt scheinbar wie eine aus dem Boden, der Topographie, dem Felsen herausgewachsene Figur. Der Felsen wird zu einem skulptural modellierten Sockel für das kubisch, glatte und scharfkantige Gebäude. Das Gebäude zeichnet in seiner Form die topographischen Gegebenheiten nach. Die Treppe wirkt als ein Segment eines Amphitheaters. Surreale Perspektiven und Ausblicke werden durch die Kombination verschiedener Maßstäbe Inszeniert. Der Windschutz, die Treppe, das Mobiliar, die Fenster sind Fragmente der persönlichen Vorlieben der Bauherren, die auf eigene Erfindungen, Erlebnisse und natürliche Metaphern verweisen. Der Entwurf „collagiert“ diese unterschiedlichen Atmosphären und Metaphern (Körper, Schiff, Theater, Segel, klassische Fragmente im Innenraum). Das Gebäude ist ein gutes Beispiel für die Betrachtung von Architektur unter semiotischen Aspekten: Architekturelemente, die über ihre Funktion ihre Form definieren (Semantik) und die darüber hinaus eine zusätzliche Bedeutung oder Interpretationsmöglichkeit im syntaktischen Sinne erhalten. 

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14. Architektur durch Faltung und Deformation

Faltung

Die Kompositionsmethode Schneiden, Biegen, Falten beschreibt die Transformation von einer zweidimensionalen Fläche in die dritte Dimension. Die Ideen der Faltung entstehen zuerst bei der Beschäftigung mit dem flächigen Material. Die Faltung ist als eine erste Gestaltungsübung am Bauhaus von Josef Albers angewandt worden. Aus einem Material, meist Pappe, sollten über Schnitte und anschließende Faltungen dreidimensionale Objekte entstehen, die über eine deutlich größere räumliche Steifheit verfügten und eine architektonische oder konstruktive Wirkung haben. Als eine Kompositionsmethode für Möbelbau und Design ist die Faltung über einem Abstraktionsprozess und einer formalen Art und Weise auch auf Architektur anwendbar.

Durch das Biegen oder Falten eines Bandes entsteht ein kontinuierlicher Raumfluss, der einen Raum gleichzeitig fasst und umlenkt. Bodenplatten werden zu Wänden und dann wieder zu Deckenplatten. Platten können zum Teil geneigt werden, so dass auf diese Weise schräge Flächen entstehen. Sie können auch direkt aus der Horizontalen zu Rampen oder Treppen gefaltet werden. Es entstehen dynamische Raumfiguren, bei denen die klassische Hierarchie von Decken und Wänden zugunsten eines Ineinanderfließen und Verschmelzen der einzelnen Bauteile ersetzt wird. Die Baustrukturen wirken skulptural und als gestalterische Einheit. Das Falten kann zu einer Auseinandersetzung mit dem Außen und Innen, dem Körper und dem Inneren der Struktur führen. Entfaltung bedeutet nicht das Gegenteil von Falten, sondern die Entwicklung von Körpern aus Falten. Die Faltungen übernehmen die Rolle von Verkehrsflächen, aber auch von Aufenthaltsräumen. Durch die Faltung der Decken "entfaltet" (entwickelt) sich der Raum zu einer Verlängerung des äußeren Verkehrsweges. Auf diese Weise wird der urbane Kontext mit in das Gebäude geführt. Es entsteht eine Beziehung zwischen Innen und Außen.

Durch die Wichtigkeit der Deckenplatten verliert die Außenfassade an Bedeutung, die Platten und die Falten gewinnen umso mehr an Präsenz. Basis für die freie bauliche Umsetzung ist die moderne Skelettbauweise aus Stahl oder Stahlbeton mit weitgespannten, unterzugsfreien Decken (Flachdecken), aussteifenden Kernen, biegesteife Ecken, eingespannte, vorgespannte Stützen, Platten sowie die Möglichkeit komplexe Tragstrukturen über entsprechende Programme am Computer zu berechnen.

Durch das Verdrehen oder Verbiegen einer Fläche kann einer Form die geometrische Strenge genommen werden. Dieses kann so weit gehen bis die Fläche wie ein Gewand, als Stoff oder ganz wie ein Kleidungsstück wirkt. Bei einer Umsetzung in einem Gebäude würde die Raumgliederung in oben, unten, seitlich aufgelöst, der Raum würde fließen, Geschosse verschwinden.

Deformation

Einfache geometrische Körper können in einem Transformationsprozess über die Deformation, Verformung, Verzerrung, Biegung oder das Schleifen zu komplexen Körpern umgeformt werden. Dabei wirken von außen oder von innen Kräfte auf die Körper ein. Diese Kräfte werden visuell und bildhaft in die Form eingearbeitet, formen den Körper. Die Deformation ist der Methode Faltung wesensverwandt, jedoch wird hier nicht die zweidimensionale Fläche, sondern dreidimensionale Körper werden verformt, gefaltet. Verbesserte Belichtung durch veränderte Ausrichtung von Gebäudeteilen, besondere äußere Erschließungsrichtungen, eine spezifische städtebauliche Einfügung wegen eines geometrisch- komplexen Umfeldes, Anpassung an organisch gewachsenen Strukturen, unübliche Grundstückszuschnitte können von außen wirkende Kräfte darstellen, durch die sich ein ursprünglich kompakt und geometrisch- typologisch streng gedachter Körper verformt. Auch innere Kräfte, wie Bewegungsrichtungen, -abläufe, -flüsse, funktionale oder inhaltliche Besonderheiten, Raumprogramme mit unterschiedlichen Raumhöhen oder Bedeutungshierarchien, soziale Treffpunkte können Anlass sein einen Körper mit seiner Raumstruktur zu biegen und zu verzerren. Die auf den Körper wirkenden Kräfte werden durch die Deformation und Transformation des Körpers sichtbar und visuell herausgestellt. Eine Variante des Deformationsprozesses ist das Schleifen. Geometrische Grundkörper werden wie geschliffene Steine oder Diamanten auf eine bildhauerische Art und Weise bearbeitet, dass kristalline Strukturen entstehen. Die Methode ist der Arbeitsweise „Subtraktion“ wesensverwandt. Durch die Methoden Deformation, Schleifen wird der Objektcharakter von Gebäuden verstärkt. Es können aber auch spezielle Belichtungssituationen und Raumsequenzen geschaffen werden. Durch eine spezifische Reaktion auf besondere städtebauliche Umgebungen und Topographien lässt sich ein Gebäude durch eine Deformation womöglich besser, zurückhaltender oder sensibler einfügen. Auch ursprüngliche Bauformen mit Ihren Dachlandschaften können auf diese Arbeitsweise zeitgemäß und abstrakt interpretiert werden. Sie bietet eine Alternative zu der oft rechtwinkligen Geometrien unterliegender klassischer Moderne. Die entstehenden Formen sind den organischen Ansätzen der modernen Architektur wesensverwandt. Eine Analyse des Bauprogramms, der Funktionen und der städtebaulichen Umfeldes zum Herausfiltern der möglichen bedeutsamen „Kraftfelder“ ist unabdingbar. Über Arbeitsmodelle lassen sich spielerisch die skulpturalen und plastischen Methoden und die Entwurfsideen erproben und entwickeln. Bei städtebaulichen Strukturen findet ein Deformationsprozess durch die Anpassung geometrisch, rationaler Planungen durch die Anpassung, Überlagerung von Nutzungen, Veränderungen von Eigentums- und sozialer Strukturen statt. Als Beispiel sei auf die Transformation von vielen römischen Stadtanlagen im Mittelalter verwiesen. 

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15. Der Typus

„Der einer Gruppe von Personen oder Dingen gemeinsame, anschaulich oder begrifflich heraushebbare  Grund, oder Modellform, auch das prägnante oder vorbildliche Muster, das Charakter oder Gestalt einer solchen Gruppe rein darstellt“ (Brockhaus).

Der Architekturtyp ist eine wiederkehrende, oft geometrische Grundform oder Ursprungsform eines Gebäudes oder eines Grundrisses in „reiner“ Form. Die neutralen Entwurfsmodule oder Bausteine reichen von einfachen geometrischen Grundformen bis zu komplex zusammengefügten Figuren: Punkt, Kubus, Riegel, L-Form, U-Form, T-Form, Hofhaus, S-Form, Zeile, Kamm, Mäander, Kreis, Ring usw.

Wie entstehen Bautypen?

Funktionale Anforderungen, die Nutzung (Wohnungsbau, Privathaus, öffentlicher Bau usw.) und komplexe Raumprogramme führen zu einer baulichen Differenzierung einer sich lokal entwickelnden Bauform. Die klassische Schichtung von öffentlichen Räumen (Straße, Gasse, Platz) über Zwischenräume (Eingänge) hin zu privaten Räumen (Hof, Garten) ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung von komplexen Wohnhaus-Typen. Städtebauliche Bausteine entwickeln sich über lange Zeiträume aus einem lokalen Kontext heraus und werden mit der Zeit zu einer baulichen Konvention. Die Verdichtung von Stadtstrukturen, bedingt durch ein anhaltendes Wachstum von Gesellschaften, führt oft zur Entstehung eines spezifischen, lokalen Bautyps.

Die formbestimmenden Faktoren

- Klima (Beispiel Wohngebäude des antiken Priene)

- Gesellschaftssystem, Religion (Lebensweise)

- Eigentumsverteilung, Größe der Parzellen

- Baurecht, Bauregeln

- Hauptwirtschaftsgrundlage: die Landwirtschaft, das Handwerk, Regierungsfunktionen (Bedarf an Repräsentation) oder der Handel prägen die bautypologische Formen einer Stadt auf unterschiedliche Art und Weise.

Gebäudetyp und Monument

Neben den klimatischen, gesellschaftlichen, topographischen Aspekten werden die meisten Städte in ihrer Form von architektonisch und städtebaulich herausgestellten Monumentalbauten geprägt. Dabei ist zwischen den kultisch-religiösen, kulturell genutzten und den Herrschaftsbauten zu unterscheiden. Die kultisch-religiösen Bauten dienen meist auch dem gesellschaftlichen Zweck der Umverteilung, sowie der Kommunikation (ursprünglich dienten Tempelanlagen als Nahrungslager, Ort des zeremoniellen Schlachtens von Tieren und der Nahrungsumverteilung). In der Antike entwickelten sich die ersten kulturellen Bauformen wie Theater, Stadien und Amphitheater.

Die Herrschaftsbauten finden ihren Anfang in besonders ausgeschmückten Gebäuden des normalen Wohnhaustyps (z.B. die Hütte eines Häuptlings) und entwickeln sich zu immer repräsentativer werdenden Anlagen von Palästen, Residenzen bis hin zu imposanten Schlossanlagen. Eine Variation des Herrschaftsbaus ist die durch Verteidigungsanlagen gekennzeichnete Burg. Vergleichbare Gebäudetypen sind heute Rathaus, Parlament oder Präsidialamt.

Bei den Kultbauten sind mehrere Grundtypen entstanden, die in abgewandelter Form bei vielen Gesellschaften auftauchen. Architekturgeschichtlich entwickelten sich diese Typen durchaus auf eine evolutionäre Art und Weise. Zwischen dem Zentralbau mit der Variation Rund-, Quadrat- und Kreuzform, dem Längsbau mit der Weiterentwicklung zur Kreuz- Kirchenform, dem Flächenbau mit einer additiven Raumfigur, sowie dem Hofhaus ist zu unterscheiden. Zu den kulturellen Blütezeiten sind Schlüsselbauten entstanden, auf die sich als Referenz später immer wieder bezogen wird. Der griechische Tempel, mit seiner perfektesten Ausformulierung beim Parthenon in Athen, ist sicherlich der Ausgangspunkt für die meisten nachfolgenden Längsbauten. Der  runde römische Pantheon-Tempel in Rom ist die geometrisch vollendete Mutter aller Zentral- und Kuppelbauten und Aus­gangspunkt für die Kirche Hagia-Sofia in Konstantinopel und vielen Kirchenbauten in den darauf folgenden Jahrhunderten. Die Hagia-Sofia wiederum wurde Vorbild für unzählige byzantinische Kirchenbauten und später für Moscheen in osmanischer Zeit. Einer der herausragenden Bauten des strukturalistischen Flächentyps ist die Moschee in Cordoba, mit vielen Nachfolgebauten im islamischen Kulturraum. Einige Moscheen, islamische Paläste und Medresen (Koranschulen) sind, zusammen mit dem christlichen Klostertyp, Synonym für den introvertierten Typus des Hofhauses.

Verschiedene Architekten, die meist eine rationale, traditionalistische Haltung formuliert haben, verstehen die Stadt als ein Gebilde, welches sich über die Verwendung von klaren Typen und wieder erkennbaren (sich sozusagen ins Gedächtnis festgesetzten) Monument-Typen definiert und seine „Urbanität“ erhält. Die Architekten Aldo Rossi, Mario Botta, Giorgio Grassi und Oswalt Matthias Ungers seien hier genannt. Mit Sicherheit ist die Reihung eines deutlich erkennbaren Grundtyps eine wichtige Grundlage für das Phänomen „Stadt“. Die Entwürfe dieser Architekten in einer städtischen Struktur beziehen sich auf vorgefundene Bautypologien und Ordnungen oder spielen, besonders bei Aldo Rossi, mit dem monumentalen Architekturtypus. Eine weitgehende Ausdifferenzierung des Baugeschehens und neue Funktionen führen auch zu neuen Bautypologien, die die Städte mehr und mehr prägen. Flughäfen, Shopping Center,  Messegebäude, Museen usw. werden heute zu den Imageprägenden Bauten.

Gebäudetyp und funktionale Bedingungen

Die Gebäudeform und das jeweilige Raumprogramm stehen in wechselseitiger Beziehung. Um den funktionalen Be­dingungen effizienter Erschließung, natürlicher Belichtung und Belüftung (Besonnung beim Wohnungsbau) gerecht zu werden, kristallisiert sich bei größeren Baumassen automatisch eine Auswahl von funktionalen Grundtypen heraus.

Transformation des Architektur-Typs

Der ursprüngliche Architekturtyp ist geometrisch rein, universell an jedem Ort anwendbar und damit im Grunde beliebig. In der sturen Anwendung eines Bautyps wird noch nicht eine individuelle auf den Ort eingehende Bebauung formuliert. In den Ort verankert wird ein Gebäude erst, wenn es in Beziehung zu der Grundstückssituation gesetzt und in Referenz zu lokalen Baumaterialien und Konstruktionsweisen spezifisch gestaltet wird.

Der universale Grundtyp wird über den Prozess der Verformung oder Deformation (damit ein Gebäude z.B. auf ein Grundstück passt, um die Besonderheiten eines Raumprogramms zu berücksichtigen oder um Beziehungen zu dem Kontext zu suchen) plötzlich zu einem spannenden, ja einmaligen Gebäude transformiert. Dabei kann ein Gebäude durchaus im organischen Sinne verformt werden. Gute Beispiele für solch einen Transformationsprozess sind die Entwürfe von Alvaro Siza, Rafael Moneo, Steven Holl und Alvar Aalto. Der Carlos Ramos Pavillon von Alvaro Siza in Porto, errichtet 1985-1986, ist ein gutes Beispiel für die Transformation eines U-Typs. Das Grundmodul wird so verformt, dass der Pavillon sich in den bestehenden Garten einfügt und zu den Altbauten ein geometrisches Beziehungsgeflecht entwickelt.

Der städtebauliche Bautyp

Studiert man die Strukturen von Großstädten in verschiedenen Ländern und Kulturen, ist  eine große Unterschiedlichkeit in der typologischen Ausformung der dort am häufigsten verwendeten Bauten, meist der Wohnbauten, festzustellen. Meist haben sich selbständig eigene, nur lokal auftauchende Bautypen entwickelt. Die Entstehung eines einmaligen städtebaulichen Bautyps in einer sehr homogenen Ausprägung lässt sich sehr gut am Beispiel Berlin aufzeigen:

1. einfaches Haus an Landstraße (Straßendorf, 1-geschossig)

2. landwirtschaftliches Gehöft, Scheunenbauten im hinteren Grundstücksbereich

3. Zonierung und erste seitliche Anbauten „Remise“ L-Typ, 2 Geschosse

4. doppelter seitlicher Anbau, U-Typ, 2-3 Geschosse

5. Entwicklung der Brandwand, zusammenrücken, 3-4 Ge­schosse

6. Komplettierung durch ein oder mehrere Hinterhäuser, 5 Geschosse

Ergebnis ist das „Berliner Mietshaus“, „die steinerne Stadt“. Der klassische Berliner Hinterhof ist mit den normierten Minimalmaßen ein Resultat des Baubooms während der Grün­derzeit im 19. Jahrhundert. Die Gebäude müssen über eine Durchfahrt zu den Höfen, die in ihrer Größe das Wenden eines Feuerwehrwagens ermöglichen sollen, verfügen. Ähnliche komplexe Entwicklungslinien lassen sich in vielen größeren Städten erkennen. Die Unterschiede der einzelnen Typologien sind dabei oft überraschend und eine Mischung aus lokalen Entwicklungen, Eigentumsstrukturen und kulturellen, historischen Beziehungen. So ähneln die frühen amerikanischen Bautypen an der Ostküste eher den englischen Stadthäusern. Baurechtliche Bestimmungen sind oft die Grundlage für die lokalen bautypologischen Besonderheiten, z. B. die Abstandsregeln, das Nachbarschaftsrecht, Materialvorgaben. Insbesondere baupolizeiliche Vorgaben für Baumaterialien aufgrund von der Erfahrung mit großen Bränden oder Erbeben, z. B. der Verbot der Verwendung von Holz als Baumaterial, spielen eine wichtige Rolle. 

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16. Ordnungssysteme

Sind mehrere gleiche oder verschiedene Elemente zu einer Nachbarschaft zusammengeführt entsteht eine Gruppierung. Eine größere Gruppierung oder eine Zusammenballung von mehreren Gruppen bildet eine Struktur. Die meisten Gruppierungen und Strukturen werden über ein Regelwerk organisiert und zusammengehalten. Solch ein Regelwerk oder „Ordnungssystem“ ist auf den ersten Blick nicht immer erkennbar. Diese Regelwerke können mannigfaltigster Natur sein, sie werden aber alle auf die eine oder andere Art und Weise die Form und Komposition einer Naturform, einer Struktur oder eines Gebäudes bestimmen und ordnen.

In der Architektur und im Städtebau werden diese Regeln als Ordnungssysteme bezeichnet. Das Wesen und die Konstruktion eines Hauses, eines Palastes oder einer Stadtanlage werden immer über eine innere Ordnung bestimmt werden. Diese Ordnung hält die Struktur kompositorisch zusammen. Das Ordnungssystem beschreibt die innere Logik und Schlüssigkeit einer Struktur. Es werden Ordnungsprinzipien festgelegt nach denen entworfen, konstruiert und komponiert wird. Ebenso können Strukturen sich auch nach, ungeplanten und vielleicht auch nicht festgelegten, Regeln und Prinzipien selbst organisieren, z.B. beim „informellen“ Städtebau. Bestimmen in der Natur mehr komplexe physikalische Modelle und Wachstumsprinzipien die Gestalt z.B. einer Pflan­ze oder die Form einer Düne oder Flusses, werden in der Architektur, besonders in der klassischen und akademischen Sichtweise mehr die elementaren Geometrien und Kompositionsregeln (Hierarchie, Achse, Kreuz, Symmetrie, Raster, Wiederholung, Rhythmus usw.) angewendet.

Neutrale Strukturprinzipien beschreiben Kompositionsformen und -regeln unabhängig von der einzelnen Formensprache. So kann zum Beispiel eine hierarchische Ordnung genauso eine aus geometrischen, an einer Achse organisierten Anlage sein, aber auch eine collagierte und organische „Haufenform“ beschreiben. Eine Welle oder Bewegung entspringt nicht einer geometrische Primärform, zum Beispiel einer Linie, sondern ist eher Resultat einer komplexen, aus mehreren Geometrien zusammengesetzten Figur und das Resultat von Krafteinwirkungen auf Objekten oder Flächen. Mit dem Suchen nach, dem Bestimmen und Festlegen eines Ordnungsprinzips wird beim Entwurfsprozess auch das klassische „Entwurfskonzept“ festgelegt. Das Entwurfskonzept bestimmt dann die Form des Gebäudes. Ziel sollte immer sein ein möglichst gut lesbares, verständliches und klares Ordnungssystem zu finden. Die Beschränkung auf ein deutlich erkennbares und lesbares Ordnungsprinzip erleichtert das Verständnis für einen Entwurf und stärkt zugleich seine räumliche Wirkung. Werden verschiedene Ordnungsprinzipien gemischt, können sich diese bei einzelnen Gebäuden gegenseitig in Ihrer räumlichen und emotionalen Wirkung aufheben. Beschränkung und Einfachheit (der Mittel) kann die Wirkung des Einzelnen verstärken.

Die Stadt dagegen ist durchaus das Resultat von sich überlagernden Ordnungen und Prinzipien. Sie gewinnt dadurch oft erst die Dynamik und Faszination. Diese Mischung und Parallelität von Ordnungen ist auch ein Abbild einer komplexen Gesellschaft. Rom ist das schönste Beispiel für eine Überlagerung von unterschiedlichen Strukturen, die jeweils anderen Ordnungssystemen gehorchen. Die antike, collagierten Struktur mit öffentlichen und kultischen Großbauten und dazwischen aufgefülltem Wohnungsbau ist mit den eher organisch gewachsenen mittelalterlichen Stadtvierteln überlagert. In dieser Stadtstruktur erfolgen in der Renaissance gezielte geometrische Eingriffe, die sich in modernen Einschnitten und Additionen fortsetzten.

Auch in London gibt es einige sehr interessante Viertel, wo sich mittelalterliche Stadtstrukturen mit der Verkehrsstruktur des 19. Jahrhunderts (Eisenbahn) und Großstrukturen des 20. Jahrhunderts auf eine kontrastvolle Art und Weise überlagern.

Geometrie - klassische und rationale Ordnungsprinzipien

Lineare Struktur

Organisation entlang einer Achse

Kreuz (-Form)

Symmetrie (Asymmetrie)

Raster, Gitter, (dreidimensional als Raumfachwerk)

Band und Streifen - Struktur (Zonierung)

Layer - Organisation

Neutrale Ordnung- und Strukturprinzipien

Gruppierung (von mehreren Elementen)

Einheitlichkeit (Homogenität der verwendeten Elemente)

Verschiedenheit (Heterogenität der verwendeten Elemente)

Strukturales System:

- Rhythmus (wie Noten in der Musik)

- Wiederholung (eines Prinzips)

- Reihung (eines Typs, Elements)

Hierarchie (Variante: dynamische Ordnung)

Überlagerung (z.B. von mehreren Elementen in der Vertikalen)

Schichtung (z.B. von mehreren Elementen in der Horizontalen)

Wandlung

Struktur ausgerichtet an einem Bezugselement

„Organische“ Ordnungsprinzipien und Erklärungsmodelle

Wachstumsordnungen

Ordnung von „Landschaften“

„wilde“ Ordnung („Haufen“)

„collagierte“ Ordnung

„chaotische“ Ordnung

mathematische, biologische und physikalische Ordnungssysteme und Modelle zur Erklärung von:

- Kräften und Kraftfelder die auf Objekte wirken und sie formen

- Bewegungen und ihrer Spuren (z.B. von Dünen, Wellen oder Wegen)

- Wachstumsstrukturen (z.B. die Form einer Schnecke)

- der Schwerkraft und ihrer Folgen auf Körper und Struktur

- atomare Teilchenstruktur. 

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17. Wohnungsbau

Bei der Planung eines Wohngebäudes sollten folgende Themenfelder nacheinander untersucht und bearbeitet werden:

1. Bedingungen des Grundstücks, Grundlagen

Erlaubte Nutzung - Baugesetzbuch

Erlaubte Bebauungsdichte - Baunutzungsverordnung

Größe des Grundstückes - Flächennutzungsplan

Zuschnitt  - Bebauungsplan

Nachbar  - Bauordnung

äußere Erschließung

Topographie

wichtige Begriffe: GFZ, GRZ

Himmelsrichtung

2. Bedingungen des Programms

Die Form und Organisation eines Wohngebäudes wird bestimmt durch die Faktoren:

a) Wohnungsschlüssel, Anzahl Wohnungen, Verhältnis von Wohnungen zu Zimmeranzahl

b) Wohnungsgrößen, soziale Einordnung, soziale Zielgruppe

c) Sondertypen: Maisonetten, Lofts, Wohngemeinschaften, Studentenwohnungen, Seniorenwohnungen, Pflegeheime

d) Erschließungskonzept (Einspänner, Zweispänner, Dreispänner, Laubengang usw.)

3. Baumassenverteilung, Einflussgrößen

a) Zonierung- Freiflächen (Erschließungs- Spiel- Stellplatzflächen), überbaubare Flächen, Zugänge, Durchfahrten, äußere Erschließung, nachbarliche Koordination

b) Baumassenverteilung

Haushöhen, maximal zulässige Geschossigkeit

Gliederung der Gebäude, maximal zulässige Baumasse

Abstandsflächen (Bauordnung), Bebauungsplan

4. Funktionszusammenhänge, Flächenverteilung in den Geschossen

a) Organisation horizontal, Lage und Ausrichtung des Treppenhauses zur Himmelsrichtung im Normalgeschoß, räumliche Beziehung zum Eingang im Erdgeschoß und eines möglichen Durchganges oder Hallenraumes

b) Organisation vertikal, besondere Nutzungen im Erdgeschoß oder Dach

5. Präzise Strukturierung der Geschosse

Festlegung der Wohnungsanzahl pro Geschoß, Auswahl Erschließungssystematik, Lüftungsstruktur (Querlüftung)

6. Wohnungstypologie, innere Erschließung der Wohnungen

Entwurf der inneren Struktur der Wohnungen

a) Durchwohnen, Transparenz durch das Gebäude von Fassade zu Fassade, meist Schottenstruktur, bevorzugt bei Nord-Süd- Ausrichtungen, eher schmalere Gebäude da von Norden keine gute Belichtung (Gebäudetiefe 8 bis 11 Meter)

b) Längsstruktur, klassische Wohnungsaufteilung mit Fluren, additive Anordnung der Wohn- Schlafräume an den Fassaden, evt. zusammenschaltbar, Nassräume an den Fassaden (2-Bund Struktur) oder innen liegend (3-Bund Struktur), bevorzugt bei Ost-West-Ausrichtungen, höhere Gebäudetiefen möglich, meist Fassaden und innere Längswände tragend

c) Inseltyp, offenes Wohnen mit Kernen bestehend aus Küche, Bädern, WC und Schränken, keine (Wand-) Grenzen zwischen den Räumen, flexibles Wohnen mit unterschiedlichen Raumzuordnungen über Schiebe- oder Faltwände. Die Inseln können innen oder an der Fassade liegen

d) Dielenwohnung, mittiger, zentraler Verteiler- Wohnraum

7. Festlegung Freisitztypologie

Balkon, Loggia, Terrasse, Wintergarten, Französischer Balkon

8. Typologie Treppenhausstruktur, Lage Aufzug

Einläufige Treppe (vereinfachte Fassadengestaltung), zweiläufige Treppe (ökonomisch), Treppe als Umlauf Aufzug

Übersicht Wohnungsbautypologien

Die Gebäudetypologie von Wohnhäusern wird besonders durch die Wahl des Erschließungskonzeptes definiert. Die horizontale und vertikale Organisation der Treppenhäuser mit der Eingangssituation im Erdgeschoss und den jeweiligen Zugängen bei den Wohnungen bestimmt im Zusammenspiel mit der Struktur, Anzahl und Anordnung der verschiedensten Wohneinheiten die Form eines Wohngebäudes. Prinzipiell kann typologisch in folgende Bauformen unterschieden werden:

- freistehendes 1-geschossiges Gebäude, Eingang direkt in die Wohnungseinheit

- freistehendes Gebäude mit einer Wohneinheit oder Doppelhaus 2-3 Geschosse, Eingang direkt in die Wohnungseinheit

- Reihenhaus 2-3 Geschosse, Eingang direkt in die Wohnungseinheit

- „Holländisches“ Modell, jede Wohnung eine eigene Erschließungstreppe, 2-4 Geschosse

- Einspänner

- Zweispänner

- Drei- Vierspänner

- Laubengang, „außen liegende Straße“

- innerer Erschließungsgang, „innen liegende Straße“

Diese Grundtypen und die verschiedenen Erschließungstypen können wie Bausteine miteinander kombiniert werden:

- Stapelung verschiedener Nutzungen, z. B. Gewerbesockel und Wohnungen in den Ober­­geschossen

- Kombination Laubengang und Reihenhaus

- Kombination Maisonetten und innerer Erschließungsgang. 

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18. Oberfläche, Ornament, Fassaden

Ursprung

Umkleidung, Hülle, Schutz (Zelt)

Vom Zelt zur Hütte zum Haus

- Material

- Öffnungen

Fenster

Licht, Belichtung des Innenraumes, Ausblick - Einblick

- Steuerung des inneren Klimas unter Berücksichtigung des äußeren Klimas (Be- und Entlüftung)

- Symbol: Fenster als Auge, Mund usw.

- Form - Inhalt: die Fassade spiegelt die innere Struktur eines Gebäudes wider. Die Bedeutung der Räume wird über die Öffnungen nach außen vermittelt.

Innenraum

Dialog, Kommunikation mit dem Außenraum über Öffnungen

Die Fassade als Membran zwischen innen - außen

Die formbestimmenden Elemente der Fassade sind:

- die geschlossene Fassadenfläche: Wirkung als Hülle und Haut eines Körpers

- die Öffnungen und Fenster

- die Konstruktion des Gebäudes

- die Bauwirtschaft

- Bauphysik

- Funktion

- Belichtung der Innenräume

- Belüftung der Innenräume

Außenraum

Kommunikation mit der Umgebung Spannungsfeld innen-außen

Repräsentation Nutzer, Eigentümer

Mitteilungszwang

Inhalt, Aussage des Gebäudes, der Architektur

Werbung, Zeichen, Symbol

Figur: Analogien Baukörper - menschlichem Körper

Formbestimmenden Faktoren für die Gebäudehülle

1.) Konstruktion

lokale Baumaterialien, Konstruktionsweisen:

- „Leichte“ Baumaterialien: Textilien, Flechtwerk (Schilf)

- „Landschaftliche“ Baumaterialien: Lehm, Holz, Bambus, Stein

- „Industrielle“ Baumaterialien: Beton, Stahl, Stahlbeton, Verbundstoffe, Kunststoffe

Die Art und Weise der Konstruktion wird bestimmt durch:

- handwerkliche, industrielle Verarbeitung

- konstruktive Eigenschaften der Baumaterialien

- Eigengewicht

- Zug- oder Druckfestigkeit

- flächige- massive Verwendung (Stein, Beton) oder skelettartige Bauweise (Holz, Stahl, Stahlbeton)

- Empfindlichkeit vor Wettereinflüssen, Schutz vor Wasser

Durch die Berücksichtigung der Materialeigenschaften auf eine ehrliche und logische Art- und Weise kann sich automatisch die Form bzw. die Textur einer Fassade in der Fläche ergeben. Die Form der Öffnungen ist ursprünglich durch die Wahl der Konstruktion vorbestimmt, Beispiel Rundbogen beim Mauerwerk (nur Druckkräfte). Architektur ist eine Symbiose aus Material, Konstruktion und Form, ein Resultat der funktionalen und konstruktiven Bedingungen. Eine archaische Wirkung und konstruktive Expressivität wird durch eine unmittelbare Wirkung der Materialien, einer Gliederung der Struktur in „Haut“ und „Knochen“ erzielt, Architektur als minimalistische, sprachlich uncodierte, raue Umsetzung der konstruktiven Bedingungen.

2.) Klima

Die Auswahl der Fassadenmaterialien,  die Fassadenkonstruktion muss dem langlebigen Schutz vom Klima und den entsprechenden bauphysikalischen Anforderungen dienen. Von Einfluss sind die Klimazonen: feucht-trocken, vorherrschende Winde, durchschnittliche Temperaturen, Frosthäufigkeit, Sonneneinstrahlung, starke oder geringe Klimaschwankungen im Jahr.

3.) Umhüllung, Verkleidung, Maske, Haut, Ornament

Viele Phänomene sprechen dafür, dass es ein tiefes menschliches Bedürfnis für das Ausfüllen von leeren, „nackten“ Flächen, mit Mustern, Pflanzenmotiven, Symbolen usw. gibt. Die Kultur der Tätowierung, die Anarchie der Graffitykünstler, die ganze Gebäude mit „tags and codes“ versehen, aber auch das islamische Ornament sind extreme Beispiele für das Ornament. So ist die Fassade einer Moschee am Königsplatz in Isfahan flächig mit Versen aus dem Koran dekoriert. Natürlich spielt dabei auch die inhaltliche Verschlüsselung und Bedeutung der Flächenausfüllungen eine Rolle.

Aussage: Form - Inhalt

Andere Herleitungstheorien suchen den Ursprung für das Ornament in der Konstruktion, dem Material. Die Stoffwechselthese von Gottfried Semper (1803 - 1879) „Prinzip der Bekleidung in der Baukunst“ beschreibt die textilen Ursprünge bei Fassaden. „Das Grundelement der Architektur, der senkrechte Raumabschluss, ist nicht etwa auf die Steinmauer, sondern vielmehr auf die (vergängliche) textile Urform - auf das Flechtwerk, die Matte, den Teppich, aber auch auf die ersten textilen Kleidungen der Menschen, zurückzuführen“. Nach Sempers Theorie erfolgt die Weitergabe dieser ursprünglichen, „von der Natur geborgten“ Formen auf dem Wege des „Stoffwechsels“. Bestimmte vorhandene Formen können von einem Material in ein anderes bzw. auf andere Bedürfnisse übertragen werden. In ihrer Erscheinung ist die Form nicht zwangsläufig an ein bestimmtes Material, sehr wohl jedoch an einen Grundtypus gebunden. Beim Wechsel von Stoff zu Stoff unterliegen die Formen einer entsprechenden Modifizierung.

Durch den sich vollziehenden metamorphen Stoffwechsel verliert der ursprüngliche, materielle Zweck an Einfluss, bleibt aber in seiner symbolischen Bedeutung als wichtiges stilbildendes Element erhalten, Beispiele: islamische Mosaik- „Teppichfassaden“, gründerzeitliche „Festdekoration“ der Stuckfassaden.

4.) Verzierung von Fassaden mit Symbolen, Zeichen, Figuren

Fassaden dienen als Informations- und Repräsentationsmedium für die Gesellschaft. Historisch, insbesondere bevor das geschriebene Wort in Büchern an Bedeutung gewann, wurde über Fassaden als wichtigstes visuelles Transportmedium bildhaft kommuniziert. So lassen sich auch die Naturornamente an Kapitellen von Stützen, Karyatiden (weibliche Säulenfigur als Gebälkträgerin an griechischen Tempeln) erklären. Die Werbeträger an zeitgenössischen Fassaden sind eine moderne Entsprechung einer Kommunikation. In der Gegenwart wird das Thema der Verkleidung immer wichtiger, da die Fassade bau­technisch von der Konstruktion getrennt wird (Wärmeschutz). Zwischen dem Material, der Konstruktion - Form und der Fassade besteht keine direkte Rückkoppelung mehr.

Fassade als Komposition

Die Basis der Fassadenkomposition ist die Fläche. Es lassen sich fünf Gestaltungsebenen der Oberflächenform benennen:

1. Material roh

2. Material behandelt

3. Material konstruktiv, tektonisch gefügt

4. Material mit Ornament/Verzierung überlagert (in Form von gegenständlichen Zeichen, Symbolen, abstrakten Mustern und Geometrien)

5. Material perforiert

Weitere Aspekte bei der Oberflächenbeschaffenheit sind die Eigenschaften: rau, strukturiert, glatt, Licht absorbierend, Licht spiegelnd, Fugenspiel, Material beschichtet, Farbe. Die klassische Ordnung ist die horizontale Schichtung Basis - Körper - Dach. Dem entgegen gesetzt ist die moderne Sichtweise, die Fassaden abstrakt als Membran oder Filter zu betrachten.

Kompositionsprinzipien

a) Flächenstruktur, gleichmäßige Perforierung der Wand, Rhythmus, Stuck, Ornament als Hilfsmittel der Flächigkeit; Lochfassade, Flächenstruktur, Rhythmus, Strukturfassade, Skelett, Stuckfassade, Glasfassade; „massig“ „geschlossen“, „introvertiert“, „offen“, „transparent“, „leicht“, „strukturell“, „rhythmisch“

b) Vertikalstruktur (Stein), vertikale Auflösung (Gotik); „schwer“, „stehend“, „traditionell“, urwüchsig“, „schwebend“, „himmelstrebend"

c) Horizontalstruktur; „modern“, „dynamisch“, „bewegt“ (bedingt durch moderne Materialien), über Eck, Holz Fachwerkarchitektur

d) Goldener Schnitt, dekomponiert, Collage; „abstrakt“, „modern“, „wild“, „expressiv“

e) Fassade als Figur, Symmetrie; „sieht aus wie...“

Grundrissvariationen Öffnung - Wand, von innen gedacht

1. Form der Öffnung: Quadratisch, stehend, goldener Schnitt, liegend, Panorama, Vollverglasung; „ausgeglichen“, „klassisch, konservativ“, „modern, schwebend“, „transparent - demokratisch“

2. Lage der Öffnung innerhalb der Wandfläche: mittig, außer- mittig, in Reihe, ornamental, collageartig, verspielt: „symmetrisch, ausgewogen“, „asymmetrisch“, „rhythmisch“, „dekoriert“, lieblich“, „expressiv“, Wand als Figur

3. Zwischen den Flächen: verbindendes Band, Oberlicht; Transparenz über eine Seitenwand

4. Über - Eck

5. Fenster als eigener Raum: Erker, Loggia

6. Indirekte Belichtung; „geheimnisvoll“, versteckt“

Fassade und Bauökonomie

Der Großteil alles Gebauten in Vergangenheit und Gegenwart ist weniger durch stilistische Fragen geprägt, als vielmehr durch die bestimmenden ökonomischen Verhältnisse. In der Vergangenheit, aber auch noch in abgelegen Gebieten, bestimmen Handwerk, Klima und natürliche Ressourcen die Formen. Mit dem geringsten ökonomischen Aufwand (lokale Materialien, kleinste Transportwege, Verfügbarkeit der Arbeitskräfte usw.) wird ein funktionierendes Gebäude erstellt. Das Ergebnis ist eine lokale und traditionelle Architektur mit hoher Authentizität.

Die formtreibenden Faktoren in der industrialisierten Welt sind dagegen Bauwirtschaft und Technik, Vor- und Serienfertigung, weltweite Verfügbarkeit durch billige Transportkosten, preiswerte Energien und industrielle Nachahmung von handwerklich anmutenden Produkten. Der Wunsch ist derselbe: mit dem geringsten ökonomischen Aufwand ein funktionierendes und ansprechendes Gebäude zu erstellen. Im Gegensatz zum traditionellen Haus sind die Produktionsmittel gänzlich verschieden. Form wird durch die Zufälligkeit des Warenangebots und „vulgäre“ Geschmackscodes generiert. Die neuesten technischen Entwicklungen wirken dabei als die formverändernden Kräfte.

Die Einführung der „Silikonfuge“ ermöglicht bei Fassaden eine billige Fügung von sich traditionell widersprechenden Materialien und deren Anschlussdetails und führte dadurch in den Siebziger Jahren zur Auflösung eines tradierten Formenkanons und zur gegenwärtigen Formen- und Stilvielfalt. Diskussionen über Architektur, Stil und Form müssen diesen Hintergrund akzeptieren, denn hier liegen die Ursprünge für die Alltagsarchitektur. Der Planer muss den Zusammenhang zwischen der Form und dem Prozess der ökonomisch günstigsten Erstellung (im marktwirtschaftlichen Sinne) nachvollziehen und kreativ mitgestalten. Dabei ist das Wissen über bautechnische Möglichkeiten, der Bauwirtschaft entscheidend. 

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19. Öffentlich - Privat, der Zwischenraum

Eine wichtige Grundlage für eine funktionierende und in ihrer Benutzung erfolgreiche, von den Bewohnern angenommene Wohnungsbaustruktur ist das Vorhandensein einer Schichtung und einer Hierarchie von öffentlichen zu privaten Räumen. Idealerweise ist das eine Abfolge von den räumlichen Elementen Straße - Vorbereich - Schwelle (Zwischenraum) - Eingang - Haus - Hof - Garten.

Verflechtung der öffentlichen mit den privaten Zonen

Der Zwischenraum in dem Schwellenbereich öffentlich-pri­vat bietet Raum für den Auf­enthalt, die Selbstdarstellung und der Präsentation, bzw. Repräsentation. Der Dialog „Sehen und Gesehen werden“, der sozialer Wunsch ein Teil der Gesellschaft zu sein und die Kommunikation mit der Umgebung ist das gesellschaftliche ideal, einer sozialen Abschottung oder Vereinsamung soll entgegengearbeitet werden.

Bedingungen

Es muss Zwischenräume geben, die ihre Funktion wechseln können. Den Räumen kön­nen verschiedene Nutzungen oder abwechselnd eine öffentliche oder eine private Nut­zung zugeordnet werden. Zwischen den privaten und den öffentlichen Räumen sollen flexible räumliche Beziehungen, Beziehungsrichtungen möglich sein und keine radikale Trennungen dieser Zonen vorgesehen werden, sondern eher ein weicher Übergang. Laute Straßen sind ein aktuelles Problem, weil sie einen offenen Übergangsbereich wegen Lärm und Geschwindigkeit der Fahrzeuge verhindern. Die räumlichen Schwellen sind:

- Eingänge + Vorbereiche, Durchfahrten, Foyerzonen

- Treppenhäuser + Erschließungsbereiche (Gänge etc.)

- Balkone, Terrassen, Loggien

Die Beziehung zum Straßenraum, das Ineinandergreifen der Atmosphären von Wohnung und Straßenraum, besonders von Wohnstraßen, gilt als Ideal. Wichtig für die Aufenthaltsqualität ist die Multifunktionalität und Vieldeutigkeit der Details, Treppen, Begrenzungsmauern als Sitzgelegenheiten, speziell in den Zwischenzonen, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Die beschriebenen Aspekte werden an verschiedenen Wohnungsbauten und öffentlichen Bauten von Hermann Herzberger aus seinem Buch „Architektur - Vorlesungen“ erläutert.

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20. Kontextuelles Entwerfen, Analysemethoden

In Ort und Kontext verankerte Architekturkonzepte ist ein Ideal von vielen Projekten und Planungen. Nach der Analyse der lokalen Situation werden die Projekte in ihrer Struktur und Form zu den entscheidenden Merkmalen in Beziehung gesetzt. Geschaffen wird eine lokale Architektur, die den Charakter des Ortes unterstreicht und seiner Einmaligkeit einen weiteren Baustein hinzufügt. Als Hauptmittel des städtebaulichen Analyseprozesses gelten verschiedene Zeichnungsarten. In ihrer Abstraktion und Ver­einfachung wird die beabsichtigte Wirkung, d.h. die Dar­stellung der besonderen kontextuellen Charakteristika, heraus­gestellt. Sie bilden Grundlage für aus der städte­baulichen Analyse hergeleitete und begründete Konzepte. Die Er­kenntnisse bilden Kristallisations- und Initialzündung für sich vielfältig auf den Kontext beziehende Entwurfsideen.

Plantypen Analyse

1. Schwarzplan: alle Gebäude sind in Schwarz dargestellt, Beschreibung der Bebauungsstruktur

2. Parzellenplan: Beschreibung der Eigentumsstrukturen und deren räumliche Auswirkungen

3. Analyseplan Stadtgeschichte: visuelle Darstellung der Wachstumsabschnitte über eine Linienstruktur

4. Morphologieplan: Beschreibung Topographie (Höhenlinien) Fluss, Berg, Wasser, morphologischen Besonderheiten

5. Massenplan: Plan der geschlossenen Baumassen, weiß: öffentliche Räume, Plätze, Grünflächen, Beschreibung des Wechselspiels von geschlossener und offener Bauweise

6. Figur - Grund Plan: öffentliche Räume, Plätze, Grünflächen als schwarze Fläche

7. Analyseplan öffentliche Bauten, Objekte: Lage der wichtigen öffentlichen Bauten oder besondere Objektbauten (Türme, Stadtmauer) in der Stadtstruktur

8. Beziehungsplan: räumliche Beziehungen im Stadtraum, Achsen, Blickbeziehungen usw.

9. Analyseplan Nutzungsverteilungen und Verkehr

Strategien

Aus der städtebaulichen Analyse ergibt sich die Strategie lokale Gebäudetypologien, die Topographie und historische Ebenen zu berücksichtigen. Mit dem Mittel der Transparenz können räumliche Beziehungen zu vorhandenen Gebäuden oder Freiräumen von innen nach außen zu städtebaulichen Besonderheiten entwickelt werden. Die Entscheidung ein Teil der städtebaulichen Masse oder ein Objekt zu sein resultiert entweder aus der Strategie eine Bebauung nach dem Prinzip der Anpassung, des Aufgehens in einer Bestandsstruktur oder des Widerspruchs, das Heraus- und Freistellen eines Gebäudes aus dem Kontext, einzufügen.

Methodische Herangehensweise

- Einfügung eines neuen Projektes in die lokale Stadtstruktur, offene oder geschlossene Bauweise.

- Wirkt das Gebäude positiv, als Objekt oder negativ und raumbildend?

- Ist das geplante Gebäude im Sinne der Anpassung oder des Widerspruchs zur existie­ren­den Struktur gedacht?

- „Beziehungen“ zu vorhandenen „Objekt - Bauten“ oder charakteristischen Stadt- und Freiräumen über eine spezifische Gebäudegestaltung. Beziehungen von Innenräumen zu Außenräumen mit dem Mittel der „Transparenz“.

- Wie sehen die historischen Schichten, Ebenen des Grundstücks aus?

- Referenzen zur lokalen Bebauung: Typologische Merkmale und Besonderheiten der Parzellen und Gebäude wie Materialien, Konstruktion, Fassadenordnungen, Bauformen z.B. Dächer, Erker usw., spezifische Besonderheiten im Fußgängerbereich (Arkaden o. ä.).

Analyse- und Entwurfsstrategien

Die Analyse von städtebaulichen und landschaftsplanerischen Kompositionen und Strukturen kann durch verschiedenste Untersuchungs- und Analysetechniken, -methoden, -instrumente vorgenommen werden. Die unterschiedlichsten Strategien der Analyse sind in sechs Übergruppen unterteilt: Reduktion, Addition, Unterteilung, Demontage, Montage und Transformation. Die Begrifflichkeiten könne zugleich als ein Katalog, Instrumentarium und Werkzeuge für das Entwickeln, Entwerfen und Formulieren von städtebaulichen und landschaftsplanerischen Konzepten und Strukturen dienen.

Reduktion

Die Komplexität von morphologischen und typologischen Strukturen wird durch unterschiedliche Mittel freigestellt, limitiert und damit erläutert.

Abstraktion - das Zufällige oder spezifische wird entfernt.

Dematerialisieren - Material, physische Eigenschaften werden entfernt.

Formalisieren - Reduzierung auf ein formales Schema

Fragmentieren - die Komposition wird in ihren einzelnen Teilen zerschnitten

Fraktalisieren - Schrittweiser Ersatz von Grenzen bis zur Erreichung der kleinstmöglichen Struktur

Rationalisieren - Konzentration auf die logische Ordnung

Schematisieren - eine vereinfachte Darstellung geben

Selektion - Auswahl von besonderen Formen

Stilisieren - eine Form an eine besondere, vereinfachte Grundform anpassen

Thematisieren - herausarbeiten vom kompositorischen Motiven und Themen

Zentralisation - Zusammenfassung in einem Punkt.

Addition

Über eine sichtbare Struktur hinausgehend werden Informationen addiert.

Aktivieren - etwas in Funktion bringen

Akzentuieren - betonen

Geometrisieren - die geometrische Ordnung betonen in dem ein geometrisches System addiert wird

Integration - ungleiche Elemente in einer Anordnung einschließen

Intensivieren - etwas kraftvoller ausführen

Interpolieren - Kraftlinien und Richtungen intern verbinden

Markieren - etwas mit einer Identifizierung, Sichtlinie oder Bewegungslinie markieren

Maßstabsvergleich - unterschiedliche Maße, Dimensionen oder Maßstäbe werden verglichen

Materialisieren - die physische Komposition und Textur akzentuieren

Mathematisieren - etwas in eine mathematische Formel beschreiben, übersetzten

Rekonstruieren - voneinander separierte Elemente werden wieder zusammengefügt

Umsetzung - in ein neues Medium übersetzen

Verankern - zwei Teile durch ein drittes Element, einem Anker, verbinden

Verbinden - etwas zusammenbringen

Verweben - zwei Elemente miteinander verbinden, verweben

Unterteilung

Einordnen und arrangieren nach bestimmten Kategorien und Abschnitten.

Entwicklungsstufen - in Etappen aufteilen

Gruppieren - ähnliche Elemente oder Aspekte zusammenführen

Identifizieren - die Identität oder essentiellen Charakter einzelner Elemente herausarbeiten

Indexieren - in Kategorien einordnen

Isolation - aus dem Kontext singulär herauslösen

Inszenieren - besondere Komponente, Aspekte oder Effekte herausstellen

Konfrontation - Kontrastierende Eigenschaften einzelner Elemente herausstellen

Opposition - Dinge gegenüber stellen

Positionieren - einem einmaligen Platz zuweisen

Subtraktion - Aufteilung in abgelösten Einheiten

Szenographie - erfolgreiche Bilder sichtbar machen

Zonieren - in Streifen oder Gebieten aufteilen

Demontage

Elemente von ihren programmatischen und theoretischen Kontext separieren. Die einzelnen Komponenten werden von einem Gebäude oder einem Gebiet herausgelöst, um die Beziehungen dieser einzelnen Elemente untereinander zu verdeutlichen.

Abschneiden - Teile eines Gebäudes oder eines Gebietes werden visuell abgeschnitten um eine Einsicht in das Innere, bzw. was dahinter liegt zu bekommen

Dekomponieren - trennen und manipulieren von traditionellen Verbindungen in einer Komposition

Dekonstruieren - etablierte Werte in Hinsicht von Einheitlichkeit, Stabilität, und Kontinuum herausfordern und definierte Grenzen und Beziehungen von neuem definieren

Röntgen - unmerkliche Übergänge zu völlig transparenten Oberflächen, die Eindrücke vermitteln, dass ein geschlossenes Umfeld oder Umhüllung fortgesetzt existiert.

Überlagerung - ein Gebäude oder Struktur in Ebenen auflösen und übereinander projizieren

Zergliedern - versammelte Elemente, Stücke unterscheiden

Montage

Ansammlung und Konfrontation von ungleichen Elementen.

Assembly - unabhängigen Komponenten in einer Art und Weise ansammeln, zusammenfügen, addieren, so dass diese dann ihre Autonomie verlieren

Collage - Anordnung und Zusammenfügung von bereits existierenden Elementen in einer Art und Weise, dass sie ihre Autonomie behalten

Kontrastkomposition - die Grundformen einer Komposition wer­den durch den Gegensatz von kontrastierenden Formen intensiver dargestellt

Overlay - Dinge übereinander platzieren

Überschreitung - die Vollständigkeit von Elementen wird durch Überlappung von anderen Komponenten gestört

Rekomposition - Teile in einer anschaulichen Weise zurückarrangieren

Sampling - das Ausschneiden und Manipulation von Fragmenten, um eine kontinuierlichen Rhythmus aus diesen herzustellen

Transformation

Änderung von Formen und formalen Eigenschaften, die Form verändern und umwandeln.

Biegen - eine Originalform durch biegen verändern

Deformieren - eine Form durch eine Formel so verändern, dass die Regelmäßigkeit in etwas anderes konvertiert

Digitalisieren - analoges Planmaterial in digitale Form bringen

Duplizieren - ein Doppel erstellen

Projizieren - nach gewissen Regeln auf eine flache Oberfläche präsentieren

Reproduzieren - nach spezifischen, objektiven Prozeduren wie­derholen oder imitieren

Rescaling - den Maßstab verändern        

Rotieren - an einer Achse drehen

Spiegeln - Bilder über Spiegelung multiplizieren

Übertreibung - Struktur in eine übertriebene Form präsentieren

Umkehrung - die Proportionen umkehren

Umsiedlung - die Position verändern

Verdrängen - in eine spezielle Richtung verdrängen

Vergrößern - die Dimensionen in alle Richtungen  vergrößern

Verlängern - etwas verlängern

Wiederholung - in Serien wiederholen

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21. Magische Orte

Es passiert auf Reisen, manchmal auch im Alltag: beim Aufenthalt an Orten spürt man plötzlich, dass diese etwas Besonderes, etwas Unverwechselbares an sich haben. Es ist eine Magie zu spüren. Es lässt sich nicht erklären was dieses sein könnte. Sind es besondere Raumformen, Raumproportionen, ungewohnte Besonderheiten an den Gebäuden, Farben, Kontraste oder Einheitlichkeit, Stimmungen, Licht, Patina, Rätselhafte Formen….

Eine Architektur die einmalige, unverwechselbare, atmosphärische und lokal verwurzelte Orte schafft ist ein Ideal für den Planenden. Orte, die sich ins Gedächtnis einprägen. Orte, die unterschiedlichen Landschaften einmalige Identitäten geben. Die Faszination solcher Orte kann Grund genug sein, Motivation für die Tätigkeit eines Architekten zu finden. Was zeichnet solche Orte aus?

Lokale Kulturen werden durch ihre Identitäten repräsentiert. Historische Architektur kann dabei als ein offenes kulturelles Gedächtnis, zugleich als ein Ort der Erinnerung gelesen werden. Auch ist die Geographie des Ortes als eine physische Manifestation seiner Geschichte zu begreifen. Entwürfe und Neubauten führen dabei der Struktur und Identität eine neue Schicht hinzu, die Funde der Geschichte werden spezifisch verwertet. Die traditionelle Stadt ist ein gestalterisches Vorbild, eine aus der Vergangenheit in die Gegenwart strahlende Identität. Die Rücksichtnahme auf Kontext, Typologien und das soziale Gefüge hat daher höchste Priorität. Beim Entwerfen Pluralismus walten zu lassen und pragmatisch zu sein, ist grundsätzlich ein hilfreiches Mittel, reflexiv auf vorgegebene Situationen zu reagieren eine Voraus­setzung. Die Qualitäten eines raumbetonten Städtebaus treten beim Definieren und Formen von einprägsamen Orten in den Vordergrund. Eine Architektur ist an einem Ort auch dann unvergesslich, einmalig und spezifisch, wenn dem Ort eine gewisse Atmosphäre, Emotion, ja vielleicht auch Magie anhaftet.

Ein unverwechselbarer Charakter kann sich einerseits durch organisch gewachsene Strukturen, durch eine intensive funktionale Einprägung auf einen Ort entwickeln. Die Niederschrift der Bewohner, Eigentümer und Nutzer kann so stark sein, dass ein Ort es schafft dokumentarisch über seine Geschichte und das Sein seiner Bewohner zu erzählen.

Auf der anderen Seite kann der unverwechselbare Charakter auch durch eine homogene typologische Ausformung entstehen. Die Typologien sind dann durch Regelmäßigkeit und Rhythmus der einzelnen städtischen Bausteine gekennzeichnet. Die typische regelmäßige Berliner Gründerzeit Straßenbebauung, der Pariser Boulevard aus der Hausmann-Zeit, die Amsterdamer Grachtenhausbebauung oder die englische Terrace- Bebauung aus der Regentzeit sind zum Beispiel exemplarische Beispiele für Stadtidentitäten von Straßen mit hohen typologischen, konstruktiven Konventionen.

Ein Gebäude ist in der Wahrnehmung wertvoll, wenn über die Architektur kommuniziert wird und die architektonische Form repräsentiert. Tritt eine Kommunikation zwischen den baulichen Strukturen über geometrische Bezüge untereinander ein, entsteht etwas Spezifisches. Die erinnerungswürdigsten Momente in Städten sind oft Orte, die zum Treffen, der Versammlung, der Bekanntmachung, des Handels oder für die Kommunikation langsam entstanden oder planerisch geschaffen worden sind. Das können einfache, meist zentrale Straßenkreuzungen, alle Formen von Plätzen, Vorplätzen, Marktplätzen und auch die Sakralbauten mit ihren umgebenden Räumen sein, die in allen Gesellschaften eine herausragende, zentrale Bedeutung in den Siedlungsstrukturen formal und soziologisch einnehmen. Ein wiederkehrendes Merkmal ist eine Interaktion der Architektur mit der Umgebung mit Bezügen zur Natur, Gärten, Landschaft, ein enges Zusammenwirken von Architektur und Landschaftsplanung. Über der reinen Architekturbetrachtung hinausgehend entwickelt sich eine intensivere Atmosphäre. In unserer Wahrnehmung wird die Natur, das Licht, die Reflexionen emotionaler aufgenommen. Daher ist ein Wechselspiel Freiraum-Architektur für die Aufenthaltsqualitäten unabdingbar. Ortsdefinierende Entwürfe thematisieren das Ver­hältnis und die Beziehungen der Architektur zur Landschaft. Beziehungsgeflechte zwischen Gebäuden und auffälligen landschaftlichen, topographischen Merkmalen und Besonderheiten lassen lokale Verankerungen entstehen, eine Architektur der Beziehungen. Ein harmonisches Gleichgewicht von Topos und Typus ist ein Merkmal von charakteristischen Orten, wobei sich der Typus meist noch ehrlich aus den formbildenden Aspekten Konstruktion, Materialien und Bauformen als Resultat der klimatischen, morphologischen, baurechtlichen und handwerklich traditionellen Bedingungen entwickelt. Denn nur so entstand z.B. im Thüringer Wald ein anderer lokaler Haustypus als am Mittelmeer.

Beispiele

Obernkirchen, Haus der Großeltern

Ein typisches kleines altes Fachwerkhaus in einer Kleinstadt wurde auf einer länglichen Parzelle in einer Mulde neben einem Bach in mehreren Bauetappen errichtet. Die einzelnen Bauteile reagieren in Form und Anordnung auf die Topographie (Bach, Hang) im Sinne der „Bricolage“ und einer engen räumlichen Verzahnung der einzelnen geschlossenen und halboffenen Bauteile mit den Höfen und Freiräumen. Durch eine funktionale Einprägung, einer Niederschrift mehrerer Generationen, der Geschichte auf den Ort, die gewachsene Struktur und handwerkliche Ausformung sowie den Garten entstand ein sehr persönlicher, unvergesslicher Ort, der leider wie so oft nach dem Auszug der Bewohner und einer Sanierung seine „Magie“ verloren hatte.

Berlin, Hufeisensiedlung, Architekt Bruno Taut

Die Form der Randbebauung entwickelt sich geschickt aus der Topographie, dem Pfuhl in einer Landschaftsmulde. Es entsteht eine Rahmung des Landschaftsausschnittes, die Definition eines Zentrums und eines sozialen Ortes. Die Abfolge von Plätzen mit unterschiedlichen Maßstäben und Dimensionen kombiniert mit der Grünraumplanung von Leberecht Migge erzeugt eine einmalige, bis heute in seiner Qualität selten erreichte Siedlungsanlage.

Berlin, Nationalgalerie, Architekt Mies van der Rohe

Das tempelartige Gebäude mit seinem Podium bildet einen Ruhepunkt in dem offenen landschaftsartigen Stadtraum. Der räumliche Bezug zu der Matthäus Kirche, die Rahmung der Umgebung, Bäume, die Scharounbauten und den Altbauten im Süden durch das auskragende Dach wirkt atmosphärisch im „japanischen Sinne“.

Berlin/Potsdam, Römische Bäder, Casino in Glienicke, Architekt Schinkel

Die stark gegliederten Gebäudeensembles führen ein Zwiegespräch mit charakteristischen Punkten im Haveltal. Erinnerungen an südländische Orte über Zitate erzeugen eine fremdartige, südländische Atmosphäre. Die Raumabfolgen mit geometrischen Bezügen zu den umgebenden Parkräumen, Bäumen, Wasserläufen und Topographiebesonderheiten spielen mit der Wahrnehmung und den räumlichen Maßstäben.

Berlin, Strandbad Wannsee, Architekten Wagner und Ermisch

Vielleicht eines der schönsten öffentlichen Gebäude neben Nationalgalerie, Philharmonie in Berlin, die atmosphärische Kombination von Promenade und Kolonnade beim Strandbad Wannsee.

England, Castle Howard

Architektur und Landschaft im englischen Landschaftsgarten. Die Parkanlage Castle Howard ist eines von vielen Beispielen von Landschaftsgärten in England, die unvergleichbar Architektur mit Topographie, Landschaft, geplanten Gärten in komplexer Weise in Beziehung setzt.

London, Southwark Cathedral

Eine radikale Überlagerung und Schichtung von unterschiedlichen Zeitebenen und Maßstäben machen das Gebiet um die Southwark Cathedral in London zu einem einmaligen Zeugnis der Vergangenheit. Die ursprüngliche Wegestruktur mit der Kathedrale aus dem Mittelalter wird durch verschiedene Märkte aus dem 17-19 Jahrhundert überlagert. Die alten Gebäude der Markthallen und die Reste der Bebauungen wurden wiederum mit einem Eisenbahnknoten in der Form von Viadukten und Brücken aus der Mitte des 19. Jahrhunderts überlagert, entsprechend transformiert und baulich in der Folgezeit ergänzt bzw. ersetzt.

London, Bedford Square

Der Bedford Square steht exemplarisch für den typischen Londoner „Square“ und ist ein extremer Kontrast von Geometrie und Natur. Den klaren, rhythmischen, rationalen Fassaden aus Backstein mit wenig Dekorelementen, dezent über Mittelachsen gegliedert steht das organische Oval mit einem kunstvoll gestalteten Miniaturpark als ein artifizieller Ausschnitt aus einem Landschaftsraum mit großartigen Bäumen und Wieseninseln gegenüber. Von der Öffentlichkeit getrennt ist der Park durch einen hohen Metallzaum, der zugleich die Unerreichbarkeit dieses „Paradieses“ fixiert, denn der Park ist nur den Anwohnern zugänglich. Er wird aber auch durch diese hohe „Schwelle“ geschützt und in seiner kompositorischen Wirkung gesteigert. Die städtebaulichen Kanten, die Fassaden, das Rechteck rahmen den Park.

London, Trafalger Square, Umbau von Forster, St. Martin in the Fields von James Gibbs  

Die National Gallery steht wie die Bühne am oberen Ende des nach Süden zur Themse abfallenden großartigen Platzes mit seinen historischen Monumenten und den Randbebauungen, die dynamisch in die einmündenen Straßen hineinfließen. Das Potential dieses Platzes wurde durch den Umbau von Forster 2005 kongenial unterstrichen. Die ursprünglich umbaute Kirche St. Martin in the Fields von James Gibbs, 1722-1726 formt den asymmetrischen Blickpunkt an der Nord-Ostecke. Die Kombination aus griechischem Tempel, aufgepflanzten Kirchturm und Freitreppe wirkt äußerst dynamisch, wie ein „Reiter der auf den Platz zustürmt“.

Barcelona, Placa Reial

Ein Archetyp des Platzes: der Placa Reial in Barcelona. „Wohnzimmer“ der Stadt ist eine treffende Beschreibung für die Wirkung und Benutzung dieses Ortes.

Padua, Prato della Valle

Ein geometrisch unregelmäßiger, dreieckiger und gewachsener Platz am Rand der Altstadt von Padua bekommt durch eine später zugefügte Freirauminsel mit Bächen, Wegen und Wiesen und Bäumen in einer absolut geometrischen, axialen und strengen Grundform der Ellipse einen städtischen Ruhepool und Anker, der im deutlichen Kontrast zu der offenen Umgebung steht.

Siena, Campo

Der Campo in Siena als muschelförmiger Platz der in seiner Form Topographie, Nutzungen, Geschichte des Ortes mittels Architektur und Repräsentation auf eine einmalige Art- und Weise miteinander verbindet.

Granada, Alhambra

Die Abfolge von unterschiedlichsten Höfen, Räumen und Gärten, die bauliche Einpassung und Fügung auf den Felssporn sowie die reichhaltige Gestaltung der Oberflächen und der Konstruktionen lassen die Alhambra zu einem der wertvollsten Architekturerlebnisse werden.

Urbino, Palastanlage

Die Palastanlage von Urbino ist mit den angrenzenden Platz- und Hofräumen ist geschickt aus der die Topographie des Ortes geplant. Vielfältige Sichtbeziehungen zu dem angrenzenden Landschaftsraum geben dem Gebäude bis in die Details die spezifische Form.

Barcelona, Barcelona Pavillon, Architekt Mies van der Rohe

Der Barcelona Pavillon steht exemplarisch für die moderne Ästhetik, den edlen Materialien, horizontalen Linien und der Idee des fließenden Raumes. Mindestens genauso wichtig ist, dass die ursprüngliche städtebauliche Situation bei der Weltausstellung an diesem Ort einen öffentlichen Durchgang, bzw. eine Abkürzung zu dem so genannten „Spanischen Dorf“ auf dem Hügel vorsah. Die Gebäudekomposition spielt nämlich mit der städtebaulichen Idee des Durchgangs. Die Bewegungsumleitungen durch das Gebäude hindurch und die wechselnden Durch- und Ausblicke bekommen dadurch eine ganz andere Bedeutung.

Capri, Villa Malaparte, Architekt Adalberto Libera

Die Villa Malaparte in Capri ist die wohl radikalste und zugleich künstlichste Anordnung eines Gebäudes in einer wilden landschaftlichen Szenerie am Meer.

Porto, Carlos Ramos Pavillon, Architekt Alvaro Siza

Ein deformiertes U-förmiges Gebäude ist auf einer äußerst sensiblen Weise in einen bestehenden Garten mit einem alten Herrenhaus eingepasst und ist zugleich durch eine eigene Architektursprache selbstbewusst und eigenartig.

Paris, Institut du Monde Arabe, Architekt Jean Nouvel

Das Institut du Monde d´Arabe ist eines der seltenen Gebäuden im alten Stadtkern von Paris, welches auf der einen Seite höchst modern und abstrakt wirkt und zugleich geschickt in die Umgebung mit der Seine auf der Nordseite eingefügt ist. Gleich vier stadträumliche Elemente definieren öffentliche und spezifische Orte, die sich logisch aus dem Kontext entwickeln. Da ist einerseits der große Platz auf der Südseite mit dem Haupteingang vor der großen orientalisch anmutenden Fassade, dann ein Durchgang neben dem den Schwung der Seine nachzeichnenden Seitenflügel zu einem intimen öffentlichen Hof, über den man zum vierten Element, einer großzügigen öffentlichen Dachterrasse gelangt.

Berlin, Entwurf AGB Berlin, Architekt Steven Holl

Der Wettbewerbsentwurf für die Erweiterung der Amerikagedenkbibliothek von Steven Holl im Jahre 1988, ein 1. Preis hätte dem derzeit desolaten Stadtraum am südlichen Ende der Friedrichstraße einen neuen Halt und Endpunkt gegeben. Die in die dritte Dimension verzerrte Hofanlage überlagert den Bestandsriegel und beschreibt eine öffentliche Promenade durch das Gebäude hindurch mit spannenden räumlichen Inszenierungen und Ausblicken bzw. Beziehungen zu den markanten Punkten im umgebenden Stadtraum.

San Sebastian, Kursaal, Architekt Rafael Moneo

Der schwierigen städtebaulichen Bauaufgabe ein Konzertgebäude vor einer städtebaulichen Kante zum Meer bzw. einer Bucht zu positionieren antwortet Rafael Moneo auf einer genialen Art- und Weise. Das Gebäude wird strukturell zergliedert und visuell verkleinert, indem er es in zwei steinartige Volumen, den Sälen, und in einem Sockel aufgelöst wird. Die Säle sind skulpural zur Geometrie der rückwärtigen Blockbebauung und zueinander gedreht. Der Sockel ist in der Topographie versteckt und öffentlich begehbar. Durch die Freistellung der Körper und der Drehung zum Stadtraum werden diese losgelöst und als Objekte gelesen, wie zwei große Steine die am Strand liegen. Der offene, zusammenhängende Landschaftsraum vor der Stadtkante mit dem Strand, der Mole wird durch das Konzertgebäude nicht zerstört oder aufgeteilt, wie es bei einer zusammenhängender Baumasse passiert wäre, sondern im Gegenteil, noch in seiner Wirkung gesteigert.

Henley, Henley Rowing Museum, Architekt David Chipperfield

Das Henley Rowing Museum zeichnet sich durch eine geschickte Verbindung von Gebäudeanordnung im Landschaftsraum, zeichenartige Wirkung über eine markante Dachform und moderner, transparenter Gestaltung aus.

Teneriffa, Kulturzentrum in Santa Cruz, Architekt Herzog & de Meuron

Das 2008 fertig gestellte Kulturzentrum fasziniert auf der einen Seite durch eine geheimnisvolle und skulpturale Architektursprache und ist auf der anderen Seite sehr raffiniert in die zum Meer abfallende Topographie eingepasst. Durch das Gebäude führen diagonal zwei öffentliche Wege über einen Durchgang zu einem dreiecksförmigen Platz und den entsprechenden Auslässen auf den Seiten des Gebäudes. Die Form der Durchwegungen sind Ausgangspunkte für die aus dreieckförmigen Teilkörpern bestehende Komposition des Gebäudes. 

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22. Architektur und Stadt

Das Studium von Städten ist äußerst faszinierend und inspirierend. Die Form von Städten zu studieren, nachvollziehen und zu verstehen ist wie das Lesen eines Buches, bei dem sich mit fortschreiten der Dauer ein größeres Verständnis der zu betrachtenden Stadt ergibt. Städtebau bezieht sich auf die historische, kulturelle Dimension, der Architekturgeschichte, der Soziologie und der Gesellschaft sowie der Wirtschaft und dem Wirtschaftsleben. Betrachtet man alle Abhängigkeiten auf denen die Entwicklung einer Stadt basiert, wird klar, dass alles mit allem zusammenhängt. Die Stadt ist sichtbares Zeugnis ihres individuellen Ursprungs, Wachstums und Zweck. Sie ist die einzigartige und persönlicher Ausdruck der Aktivität und des Lebens in Ihr. Die Einwohner reagieren unbewusst auf visuelle Erfahrungen mit einem Gefühl der Zugehörigkeit und Identifikation. Die Städte besitzen physische Klarheit, weil Ihre Formen unmittelbar relativ einfachen und überschaubaren Anforderungen entspringen. Kulturelle Kontinuität und langsame Veränderung der Technik ließen eine Planung und Bauweise entstehen, die sich in der Praxis erprobte, an dies anpasste und sich verfeinerte. Zwang wurde in eine entsprechende Form im Rahmen des Vorhandenen umgesetzt. Unzulänglichkeiten wurden entfernt. Die wechselseitige Beziehung zwischen Einwohnern, sozialem Zweck und Bauweise gab jeder Stadt Identität. Die Stadt war stets ein Mittel, ein gewisses Maß von Simultaneität der menschlichen Beziehungen und Ideen zu gewährleisten.

Als wichtigstes Instrumentarium und Vorstufe für einen städtebaulichen Entwurfsprozess gilt das Verstehen, die Analyse der Stadtstruktur und der historischen Entwicklungslinien. Wird ein einzelnes Haus betrachtet, steht dieses immer in einer Nachbarschaft, ist in einer Struktur, einem Kontext eingebunden. Der Kontext ist meist eine Stadt oder ein Dorf. Die Stadt ist eine Ansammlung und Konzentration von vielen einzelnen Häusern. Die Stadt ist ein Gebilde, was sich aus der Kombination von individuellen Häusern, Straßen, Plätzen, Topographie usw. ergibt. So wie sich aus Häusern Stadt und die Form der Stadt ergibt kann man auch umgedreht von der Stadt rückwirkend auf die Architektur schließen und diese entwickeln. Die aktuelle visuelle Erscheinung eines konkreten Bauplatzes ergibt sich dabei aus der Überlagerung aller kontextuellen und historischen Aspekte. Mittels einer Analyse des Kontextes und der Geschichte des Ortes kann diese Struktur inhaltlich begriffen und durchdrungen werden. In der Vorlesung werden einige Analysemittel vorgestellt, sowie ein kurzer Abriss der historischen Entwicklung der europäischen Stadt präsentiert.

Was ist städtebauliches Entwerfen?

Die Basis des städtebaulichen Entwerfens ist die Analyse von städtebaulichen Strukturen. Die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse dienen als Initialzündung, Motivation für die Entwurfsidee. Eine Bauaufgabe wird in einen historischen oder aktuellen, einen gesellschaftlichen und einen strukturellen Kontext im Sinne der Anpassung oder des Widerspruchs eingefügt. Dabei können bestehende oder neu zu schaffende Beziehungen herausgearbeitet werden. Ein städtebaulicher Entwurf ist immer auch eine Stellungnahme zu politischen und gesellschaftlichen Fragen. Die Rücksichtnahme auf vorhandene Strukturen und das Erkennen eines lokalen Potentials, z.B. eine Nutzungsmöglichkeit für die Öffentlichkeit bei einer besonderen städtebaulichen Situation, ist Grundlage für eine aus dem Ort heraus entwickelte, spezifische Architektur. Der Entwurfsprozess spiegelt den Wunsch wieder die Gebäude in eine vorhandene Struktur, Stadt oder Dorf, zu verankern und dadurch eine Überzeugungskraft zu entwickeln. Die entdeckten Stadtstrukturen werden respektiert und behutsam weiterentwickelt.

Auch die kleinsten Projekte stehen immer in einem Kontext und können ihre Form und ihren Entwurfsansatz aus einer Analyse eben dieses Kontextes erhalten. Das Entwerfen als reine stilistische und ästhetische Fragestellung zu betrachten, und die damit manchmal einhergehenden Beliebigkeit, wird durch den Ansatz des kontextuellen Entwerfens vermieden. Die Stadt wirkt als eine gebaute Form, eine Struktur die sich in einem langen Prozess aus verschiedensten Faktoren generiert und diese ständig neu reflektiert. Man könnte die Stadt auch mit einem Spiegel vergleichen, der die neusten gesellschaftlichen Entwicklungen sichtbar macht, z.B. die sozialen Entwicklungen in der Bevölkerung.

Betrachtet man die derzeitige Situation der Städte weltweit lassen sich drei unterschiedliche Formen unterscheiden:

1. Die traditionelle Stadt

Typologische Konvention

Nutzungsmischung

Infrastruktur im humanen Maßstab

Gestreute Eigentums- und Parzellenstruktur

„Kulturelle Identität und Vorbild“

2. Die globalisierte Stadt

Typologische Freiheit

Nutzungsentflechtung

Basiert auf der modernen Infrastruktur und Kommunikation

Statt Parzellierung generalistische Verwertung ganzer Grundstückseinheiten

Trennung von Nutzer - Eigentümer - Bauherr

„Resultat der westlichen Welt“

3. Die informelle Stadt

„Favela“

Ungeplante, illegale Siedlungen

außerhalb der tradierten Rechtssysteme

Mit geringstem Materialaufwand erstellt und hoher Homogenität

„Die neuen urbanen Städte“?

Historischer Überblick

Wie ist die Stadt entstanden? Wann war der historische Zeitpunkt? Welches waren die Grundlagen für die Entstehung von Siedlungsstrukturen?

- Über­gang vom Jäger- Sammler zum Sesshaften durch die Domestikation von Tieren und Pflanzen, möglicherweise bedingt durch das zu starke Ausschöpfen der natürlichen Ressourcen der Jäger- Sammler Kulturen.

- Entstehung einer Agrarwirtschaft, organisierte und gesteuerte Produktion von Nahrungsmitteln.

- Züchtung von Haustieren.

- die Produktion eines Agrarüberschusses ermöglicht es, dass Schichten von Spezialisten entstehen können, die sich an einem Ort konzentrieren und den personellen Nukleus einer Siedlung bilden.

- Handwerker, Händler, Krieger und Priester als Bewohner der ersten Stadtstrukturen im vorderen Orient, Verteilung des Überschusses.

- Ein durch erhöhte Nahrungsproduktion und wirtschaftlichen Erfolg bedingtes weiteres Bevölkerungswachstum führt zu einer Spezialisierung der Tätigkeiten und der Notwendigkeit der Entwicklung der Schrift (Austausch von Informationen und Handel über größere Distanzen).

Die Stadtform: zwei grundsätzliche Typen

Die organisch gewachsene Stadt

Bei der organisch gewachsenen Stadt entwickelt sich die Stadtstruktur über längere Zeiträume, bis sich in ihr eine organisierte Gesellschaftsstruktur etabliert hat. Die Stadt kann mehrere Wachstumsschübe zu unterschiedlichen Zeitpunkten erleben, die sich oft durch ein wirtschaftliches oder politisches Aufblühen ergeben. Naturkatastrophen, zum Beispiel Erdbeben, Kriege oder ein wirtschaftlicher Niedergang können zu dem gegenteiligen Effekt führen, nämlich einer Schrumpfung der Stadt.

Stadtgründungen von etablierten Gesellschaftsstrukturen

Die Gründe sind ein starkes Bevölkerungswachstum mit einer territorialen und politischen Ausdehnung des Machtbereichs.

- Verteidigung (Kastelle, Burgen, Kaserne, Lager) oder militärische Konsolidierung, besonders römische Militärlager sind oft Ursprünge für Städte (Köln, Wien).

Bei Stadtgründungen erscheint öfter die Idee der Idealstadt, die kompositorischen Mittel der Stadtanlage sind meist:

- Geometrie (Raster, Gitter, Rechteck, Kreis usw.) Achsen, Linien (-Achsen).

- Verhältnis zur Topographie, Einpassung in den Ort, wenn nötig und mit weniger Aufwand verbunden, auch im organischen Sinne.

Die europäische Stadt

Die europäische Stadt ist ein gutes Beispiel für über längere Zeiträume entstandene Siedlungsstrukturen. Hiermit sei ein kurzer Abriss der historischen Entwicklungslinie einer “typischen“ europäischen Stadt gegeben. Der Nukleus kann eine kleine Siedlung sein, ist jedoch manchmal auch auf römische Gründungen, Kastelle, Burgen oder ähnlich zurückzuführen.

1. Nukleus

- offene Bebauung ohne Schutz an einer Wegekreuzung

- Mündung eines Flusses in einen See, Meer - Lage in einer Bucht

- Kreuzung mit einem besonderen topographischen Ereignis (Fluss - Insel)

- Kreuzung von zwei Tälern

2. Abgrenzung der losen Bebauung

zum Beispiel durch erste Befestigungsanlagen oder einen Zaun

3. Verdichtung, Parzellierung

- Parzellierung: Aufteilung eines zusammenhängenden Landstückes, begrenzt durch öffentliche Wege und topographische Hindernisse, auf mehrere Landeigentümer.

- Innere Vernetzung mit weiteren Straßen, Wegen

- Herauskristallisieren von privat- öffentlichen Hierarchien

4. Weitere Verdichtung

- Entstehung einer positiv- negativ Bebauungsstruktur mit geschlossener Wege- Randbebauung, Straßen, Plätzen (Handel, Treffpunkt) und geschützten Gärten

- Private Hofräume in den Innenräumen und an den Randbereichen

5. Organisches Wachstum entlang der Ausfallwege, Ringform

- Etablierung und Verdichtung der Struktur

- Herausbilden und Errichten von Institutionen: Rathaus, Kirche, Kloster, Schloss usw.

- Wehre und Stadtmaueranlagen zur Verteidigung prägen den Randbereich der Städte und führen zu einer Kompaktheit Konzentration und Verdichtung der Anlage

- Die gesellschaftliche Notwendigkeit des Schutzes bestimmt die äußere Erscheinung der Stadt.

Ergebnis: die mittelalterliche, europäische Stadt

6. Städteerweiterungen der Renaissance / Barock

- Mittel: Geometrie ähnlich bei Stadtgründungen

- Aufwendige geometrische Wehranlagen

- Reorganisationen der alten Struktur (neue Plätze, Straßendurchbrüche, öffentliche Bauten)

7. Stadtexplosion der Gründerzeit 1850 - 1914

- Starkes Wirtschaftswachstum durch neue industrielle Erfindungen und Methoden der Produktion

- Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, Bevölkerungswachstum, Landflucht.

a) Es entwickeln sich Nationalstaaten, parallel dazu lösen sich die alten Wehranlagen in den Städten auf, Besetzung mit Grünanlagen, Infrastruktur und neuen öffentlichen Großbauten (Theater, Museen). Neue Stadtviertel entwickeln sich mit modulartigen Bebauungstypen entlang der alten Ausfallstraßen/ Wege organisch oder geometrisch

b) ab 1850 Eisenbahn als das erste Medium der Überwindung des engen Zentrums der Stadt, Transport!

c) Spekulative Erschließung der neuen Stadtviertel, erstes Auftreten einer rein kapitalistisch ausgerichteten Bauwirtschaft, kein Bauen für den Bauherrn als Nutzer, sondern die Erstellung von Gebäudestrukturen für die Befriedigung eines potentiellen Nutzbedarfs, der über Vermieten, Verkauf zu einem Gewinn des Gebäudeersthellers oder Eigentümers führt.

Diese Faktoren führen zu einem starken Wachstum der Städte, allerdings noch mit traditionellen Bauformen, z.B. der geschlossenen Bauweise.

8. 1914, 1945 - die heutige Stadt

„Überwindung der Grenzen“

Bedingungen:

- Verkehr: Eisenbahn, Auto, und das Flugzeug als neue, erfolgreiche Transportmedien.

- Keine Notwendigkeit der Flächensparsamkeit (kein Bedarf der Verteidigung mehr), billige Bauflächen außerhalb der Städte + spekulative Verwertung der bebauten Flächen, Konkurrenzkampf der Gemeinden um Bewohner, Ansiedlungen und Steuereinnahmen stehen vor dem Schutz der Landschaft und bestehenden Siedlungsstrukturen.

„Peripherie“, „Sprawl“

- Durch den wirtschaftlichen Strukturwandel Auflösung der traditionellen Bevölkerung- Wirtschaft (Handwerk) und Eigentumsstruktur in den Altstädten.

- Veränderung der Eigentumsstruktur ermöglicht u. a. die großen Verkehrsprojekte in den Altstädten nach dem II Weltkrieg.

- Eine weitere Intensivierung und Mechanisierung der Wirtschaft führt zu einer Funktionstrennung von Arbeiten und Wohnen.

- Moderne Bauformen, Bautechniken, Finanzierungsmodelle (Kapitalgesellschaften, Auflösung der traditionellen Bauherrenmodelle, keine Identifizierung, reine Renditemodelle ohne persönlichen Einsatz) führen zur Aufgabe über den Wunsch der Repräsentation des Einzelbürgers Baustrukturen in den Städten zu schaffen

- neues Wohnideal des technisch modernen, kleinen Hauses im Grünen außerhalb der Stadt, über das Auto erschlossen, als typische Wohnform, Flucht vor dem Verkehr und dem Lärm in den Innenstädten (der durch die eigene Mobilität mit erzeugt wird), Traum vom „kindergerechten“ Wohnen, über dem gewonnen Wohlstand können die hohen Erschließungskosten finanziert werden.

„Zersiedelung“

- neue Kommunikationsformen, Telefon, Mobiltelefone, Radio, Fernsehen, Internet machen die traditionellen städtischen „Treffpunkte“ entbehrlich. Alte bauliche Repräsentationsformen zur Inhaltsvermittlung werden durch andere Kommunikationswege ersetzt. Für die Städte wichtige großbürgerliche Schichten ziehen z. B. aus Ihren innerstädtischen repräsentativen Bürgerhäusern weg, weil die räumliche Nähe zu den alten Wirtschaftszentren Markt, Rathaus nicht mehr nötig ist.

Merkmale der „modernen“ Stadt

- offene Bebauungsstruktur

- Unterordnung der Grundstücksaufteilung der Verkehrspolitik als dominierenden, die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussenden Faktor

- Funktionstrennung

- starke Separierung von Bevölkerungsgruppen in räumlich isolierte Viertel (vorher Straßen)

- Keine Parzellierung von Planungseinheiten und Verwertung durch Einzelpersonen mehr, sondern generalistische Verwertung von „Plots“ von Organisationen (Staat, Immobilienfirmen, Wohnungsbaugesellschaften usw.). Aufteilung für die nachfolgende Verwertung (Vermietung, Verkauf) Grund: Finanzierung, Verwertungsdruck

- Industrialisierung der Bauwirtschaft (größere Einheiten zu bauen ist billiger als kleine)

Die Auflösung der kleinteiligen Parzellenstruktur mit differenziert entwickelten, komplexen und sich wiederholenden Haustypen ist das wichtigste Merkmal für das Ende der „traditionellen Stadt“. Zugleich führt die moderne Bautechnik, Bauwirtschaft zu einem Ende der traditionellen Bauformen, jede beliebige Form ist realisierbar und durch haustechnische Maßnahmen jedem Standort und Klima anpassbar (billige Energie).

Merkmale der „traditionellen“ Stadt

- geschlossene Bebauung. Figur Grund, öffentlich - privat

- Gebäude als Kontrast (Objekt) zu oder Teil einer Textur

- Dicht bebaute Städte wirken selbst wie ein einziges Gebäude aus dem Plätze, Höfe, Straßen wie Innenräume eines Gebäudes ausgeschnitten sind

- Der Leerraum bildet den Architekturraum

- Die Architektur begrenzt sich auf die Fassadengestaltung, sonst werden die Bebauungstypen mit tradierten Handwerksmethoden errichtet

- deutlich formulierte Schichtung von öffentlich zu privat, „Schwellen“

- Ausgeprägter Kontrast Stadt - Landschaft (Park)

- Parzellenstruktur, vielfältige, weit gestreute Eigentumsverhältnisse

- Durchmischung und Nutzung der einzelnen Stadtteile von unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten.

Die Beschreibung der „traditionellen Stadt“ deckt sich oft mit dem klassischen Begriff der „Urbanität“. 

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23. Architektur und Landschaft

Architektur wird im Zusammenhang mit den umgebenden Räumen gelesen und erlebt. Ein Wechselspiel von Freiraum und Architektur ist für die Aufenthaltsqualitäten unabdingbar. Haus und Garten, Block und Park, Stadt und Landschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Das Verhältnis und die Beziehungen der Architektur zur Landschaft müssen schon aus ökologischen Gründen thematisiert werden. Die Landschaft dient der Projektion von Sehnsüchten und als Kontrapunkt zur harten städtischen Architektur. Zugleich treten in dicht bebauten urbanen Strukturen Phänomene auf, die sich an Landschaftserfahrungen anlehnen. Landschaft kann räumlich auch als „Architektur“ gelesen werden. In diesem Spannungsverhältnis liegen die Entwurfsstrategien zwischen dem Denken im Kontrast und dem Verschmelzen von Architektur und Landschaft. An drei Beispielen wird das Zusammenspiel von Architektur und Landschaft dargestellt: die Villa Medici in Fiesole von Michelozzo, die Römischen Bäder in Potsdam von Schinkel und das Bordeaux Haus von Office for Metropolitan Architecture, Rem Koolhaas. Verschiedene Möglichkeiten Architektur und Landschaft in ein Spannungsverhältnis zu setzen werden erläutert. Auf folgende Aspekte konzentrieren sich die drei Analysen:

- Erschließung - Zwischenräume

- Positionierung in der Landschaft,

- Auseinandersetzung mit der Topographie

- Ausblick

- Möglichkeiten der Inszenierung: Erschließung, Zwischenzone, Eingänge

- Beziehungen vom Gebäude zur Landschaft und den Gartenanlagen

- Kontrast der offenen Gebäudezonen zu geschlossenen und introvertierten Bereichen

Villa Medici in Fiesole von Michelozzo, 1458-62

Ein Gebäudekubus mit Terrassen ist an den Südhang eines Berges nördlich von Florenz gesetzt. Die im Volumen einfache, kubisch geformte Villa ist mit einem Terrassengarten auf der Grundlage eines Rasters geplant und um den Ausblick nach Florenz inszeniert. Zwei Gestaltebenen bestimmen die Architektur: das Raumsystem mit verschiedenen Geometrie sowie bildhafte Elemente um die herum komponiert wird, Bäume, Tempel, Seen, Skulpturen. Das regelmäßige Planungsmodul von 4,90 m ´ 4,90 m bestimmt eine rationale, geometrische Reihung in die inszenierte Ereignisse eingelassen sind. Ein inszenierter Weg mit sich ständig ändernden Perspektiven und Ausblicken auf das Panorama von Florenz beginnt an dem Eingangstor, setzt sich mit den vom Hang herabführenden Treppen fort und führt durch den oberen Terrassengarten, der wiederum über eine starke geometrische Spiegelung in das Haus hineinfließt und endet. Von dort wird der Weg zu dem westlich anschließendem Garten oder über die innen liegende, vertikale Erschließung zu der skulptural aus dem Berghang ausgeschnitten unteren Geschoßebene gelenkt, an der östlich die Pergola auf der mittleren Ebene anschließt. An deren mittlerem Punkt, an dem Abgang zur unteren Terrassengartenebene, befindet sich der Hauptaussichtspunkt. Das innen liegende Treppenhaus bildet die einzige Verbindung der Terrassen untereinander. Die einzelnen Gebäude beziehen sich in ihrer inneren Organisation auf die Gärten, entwickeln sich aber auch um einen introvertierten Kern. So bildet der Salon das Herz des Hauptgebäudes. Das Gebäude, die Topographie, Terrasse und Pergola sind Elemente einer künstlich geformten Topographie und ein Beispiel für eine homogen geformte Gesamtanlage. Die Komposition der Renaissance- Gärten hängt stark von dem Gebrauch der Geometrie ab und gibt damit der Idee und dem Konzept der „rationalen Bühne“ Auftrieb.

Die Römischen Bäder in Potsdam von Schinkel, 1829-33

Die Römischen Bäder von Schinkel befinden sich im Park von Sanssouci in Potsdam in einer flachen Ebene an einem Wasserlauf. Das Bauensemble besteht aus einer Gruppierung von den Baukörpern Villa, Türme, Pergole, Laube und Rundbögen. Die verschiedenen Bauteile formen eine kubistische, collageartige Ansammlung. Die L-förmige Gebäudeform ist zu einem streng geformten Gartenhof orientiert. Der Garten fungiert als Terrasse und Aussichtspunkt zu einem See und der Parklandschaft. Der Eingang befindet sich in dem Knick der L-Figur. Ein Konzept der räumlichen Kontinuität führt den Besucher mit seiner Bewegung von der Landschaft zu dem Eingang und Durchgang in der Gebäudenahtstelle zu den Zielpunkten der Terrasse und der Badanlage. Von den unterschiedlichen Standpunkten in der Baukörperkomposition ergeben sich wechselnde Perspektiven, Ein- Ausblicke und Blickbeziehungen zu den markant inszenierten Freiraumanlagen sowie dem zentralen Terrassenbereich. Dieses wird durch die Transparenz der in Einzelglieder aufgelösten Gebäudegruppe ermöglicht. Eine Aneinanderkoppelung von offenen, halboffenen, transparenten und geschlossenen Räumen ist ein weiteres Merkmal des Weges durch die Anlage. Dabei sind den geschlossenen Räumen immer halböffentliche Bereiche zugeordnet. Besonders auffallend ist die inszenierte Eingangssituation des Gärtnerhauses. Ein halboffener Raumbereich umschließt eine asymmetrische, pittoreske Treppenanlage, die zu einer kleinen Terrasse führt und zu einem Raum in dem Turm. Der Eingang zum Gärtnerhaus beschreibt eine zweifach gedrehte Bewegungslinie mit wechselnden Ansichten und Ausblicken. Die Größe der einzelnen Architekturelemente kombiniert mit verschiedenen Schmuckelementen und Skulpturen spielen mit den visuellen Maßstäben der Wahrnehmung, groß-klein und Entfernung. In dem Vorbereich des Eingangs wird eine surreale, eigenartige Miniaturwelt inszeniert. Die von Richtungsänderungen geprägte Bewegungslinie des Besuchers vom Charlottenhof zum Innenhof, ständig wechselnde Perspektiven, Ein- und Ausblicke und die romantische Gefühlsweise stellt ein visuelles Erlebnis des Erschließungsprozesses dar.

Bordeaux Haus von Office for Metropolitan Architecture, 1994-98

Das Bordeaux Haus von Office for Metropolitan Architecture liegt auf und an einem Hügel süd-östlich von Bordeaux. Von dem Gebäude ergeben sich Blickbeziehungen zur Altstadt. Das Haus ist für eine Familie geplant. Der Ehemann ist ein Rollstuhlfahrer. Das Gebäude ist vertikal in drei Bereiche zoniert, man könnte von drei übereinander gestapelten Häusern mit unterschiedlichstem Charakter sprechen:

1. ein höhlenartiges, aus dem Hang ausgeschnittenem Eingangsgeschoss ist zu dem davor liegenden Garten- Erschließungshof ausgerichtet,

2. ein schwebendes, introvertiertes, abgeschlossenes Hofhaus als oberstes Geschoss, zweigeteiltes Eltern- Kinder Schlafbereich,

3. ein dazwischen liegender, nach allen Seiten offener Glasraum (Wohnraum).

Die Erschließung im Außenraum  erfolgt über einen geschwungenen Weg in einem introvertierten Hof- Gartenraum zu dem Eingangsgeschoß. Die vertikale Erschließung ist zweigeteilt, einmal über innen liegende Treppenräume und als Besonderheit über einen 3 ´ 3,5 m großen Aufzug, der sich als nutzbare Wohnfläche zwischen den drei Ebenen bewegt. Der Weg zu dem Haus und durch das Haus ist eine Inszenierung. Die drei horizontalen Raumschichten (Berg/Hof/Höhle - offener Zwischenraum - Atriumhaus) werden vertikal durchlaufen. Die markanteste Eigenschaft dabei ist der enorme Kontrast von Geschlossenheit im obersten Geschoß zu der maximalen Offenheit und Transparenz  im mittleren Geschoß. Die Offenheit des Mittelgeschosses wird durch eine aufwendige Konstruktion erzielt. Die gesamte Ausrichtung und Komposition des Gebäudes ist um den Ausblick vom Hügel auf die umgebende Landschaft, insbesondere auf die Silhouette von Bordeaux organisiert.

Resümee

Trotz unterschiedlicher stilistischer Herkunft und Bauzeiten lassen sich bei den drei Beispielen große Ähnlichkeiten beim Einsatz der Kompositionsmittel feststellen. Die Art und Weise der gesteuerten und inszenierten Erschließung bei der Villa Medici und dem Bordeaux Haus funktioniert, besonders unter dem Einsatz der Topographie, ähnlich. Die Abfolge von sich ändernden Standpunkten mit bewusst gesetzten Ausblickmöglichkeiten, unterschiedlichen Perspektiven auf das Gebäude oder auf die Gärten/ Landschaft / Stadt wechseln sich mit zwischengeschalteten, introvertierten Übergangsbereichen ab. Kennzeichnend für alle drei Projekte ist ein starker räumlicher und geometrischer Bezug der Freiraumanlagen (Terrassen, Pergolen, Vordächer usw.) zu den Gebäuden oder Gebäudeteilen, oft mit einer bewusst gesetzten Transparenz zu den Erschließungspunkten in den Innen­räumen. Bei der Villa Medici und dem Bordeaux Haus fällt die Ähnlichkeit der vertikalen Erschließung, d.h. das Durchlaufen verschiedener Raumcharaktere pro Ebene (über innen liegende, introvertierte Treppen) mit verschiedenen räumlichen Orientierungen zum Außenraum, ins Auge. Die Erschließung der Villa Medici erfolgt dabei von oben nach unten, beim Bordeaux Haus klassisch von unten nach oben. Die Gebäudeanlage der Römischen Bäder entwickelt ihre Komplexität dagegen in der Horizontalität. Was das Bordeaux Haus von den anderen beiden Villen unterscheidet ist der radikale Einsatz von modernen Konstruktionen und Materialien, mit denen der Architekt die gewünschten Kompositionseffekte in überspitzter Weise akzentuiert.

Tarnung

Ein weiterer Aspekt bei dem Thema Architektur und Landschaft ist die Tarnung. Der ökologische Druck, bedingt durch Landverbrauch und Zersiedelung sowie der Wunsch nach intakter Landschaft führt zu der Strategie, Bauvorhaben zu tarnen, einen Mantel zu kreieren um zum Beispiel die ökologische Wirkung eines Gebäudes zu beeinflussen, Ressourcen zu schonen, klimatisch angenehm zu wirken. Die Inszenierung als kulturelle Strategie wird benutzt, um einen Identitätswechsel zu ermöglichen oder die Dramatik und Aussagekraft eines Gebäudes chamäleonartig zu steigern. 

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24. Einführung in die Semiotik

Die Betrachtung und Beurteilung von Architektur lässt sich in seiner Struktur der Wahrnehmung mit Sprachen vergleichen. Durch Erziehung, Erfahrungen und Konditionierung werden architektonische Grundelemente, die wie die autonomen Wörter einer Sprache funktionieren, als ein selbstverständlicher Kanon definiert. Deren vielfältigsten Kombinationen lassen erst die komplexen Gebilde entstehen, die man mit ausformulierten Sätzen vergleichen könnte. Klassische und/oder moderne Ordnungs- und Kompositionsregeln setzen die einzelnen Elemente (Wörter) zu Sinnzusammenhängen zusammen. Deren Inhalt, Bedeutung und besonders deren Symbolhaftigkeit unterliegen, wie das einzelne Wort, insbesondere in einfachen Zusammenhängen, denselben (von Kultur zu Kulturkreisen oft höchst unterschiedlichen) Konditionierungen (Bedeutungsträger). Diese Bedeutung wird automatisch einem Architekturbild (Ideal) zugeordnet und wird bei Betrachtung und Beurteilung von Architektur meist nicht mehr hinterfragt.

Semiotik ist der übergeordnete Fachbegriff für Sprachtheorien. Die Semiotik besteht aus den Einzelteilen Syntax = Lehre der Zeichen um Inhalte zu vermitteln und Semantik = Lehre der Inhalte.

Elementare Architekturelemente wie die Flächenelemente Kreis, Quadrat, Dreieck, Raute, und die Volumenelemente Würfel, Zylinder, Quader, Riegel, Pyramide usw. bilden dabei die Wörter. Ordnungssysteme und Kompositionsregeln bilden die Grammatik - die Syntax. Diese Syntax formuliert Regeln, die die einzelnen Elemente zusammenbinden. Ordnungen sind zum Beispiel Haufenformen, Raster-, Umrissfiguren, symbolische Figuren, körperhafte Figuren usw. Über Ordnungssysteme und Kompositionsregeln werden die Grundelemente geordnet und bilden ein Architektursystem oder Architekturthema.

Diese Figuren werden im Verlauf der Entstehung und über kommunikative Prozesse mit Inhalt und Sinn aufgeladen - die Semantik. Die Mittel der Semantik sind zum Beispiel die kommunikative Aufladung einer Form mit Bedeutung, Symbol, Referenz, Zeichen, Emotion und Repräsentation. Das Endergebnis ist eine „Architektonische Sprache“.

Die semantische Struktur wird gekennzeichnet durch Emotion, Ausdruck, Information und Sprache. Zeichensysteme der Semantik sind Mimik, Motorik, Rhetorik, Musik, Plastik. Zeichen der Semantik sind Medium, Kunst, Bewertung und Ästhetik.

Die beabsichtigte architektonische Sprache und die visuelle Wahrnehmung und Lesbarkeit von Architektur hängen voneinander ab. Die Beurteilung und Bewertung von Kunst, Musik und auch von Architektur erfolgt im hohen Maße über eine persönliche Identifikation, einer „emotionalen Kongruenz“ mit dem Ausdruck des Werkes. Widerspiegelungstheorien beschreiben die Wirkungsweise der Wahrnehmung.

Weitere Aspekte bei der Analyse einer Architektursprache sind:

- die inhaltliche Codierungen von spezifischen Architekturelementen. Für „was“ steht die Form? Was soll repräsentiert werden? Zum Beispiel könnte eine geschwungene Fassadenform folgendermaßen gelesen und interpretiert werden: geschwungen = dynamisch = modern = fortschrittlich = jung = gesund ….

- die Lesbarkeit eines Entwurfs,

- die Form-Inhalt Diskussion.

Um Architektur als Informations- und Repräsentationsmedium für die Gesellschaft zu verwenden sind Fassaden mit Symbolen und Zeichen verziert. Dieses kann von klassischen Naturornamenten an Kapitellen über Karyatiden bis zu Werbeträgern an zeitgenössischen Fassaden reichen. Das gesamte Gebäude kann als eine Figur wirken, die Fassade als ein Gesicht. Die Identifizierbarkeit mit solchen doppeldeutigen Formen ist groß. Durch Körperanalogien und figurative Formen entstehen dem Gebäude innewohnende Geheimnisse, welche individuell unterschiedlich lesbar sind. 

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25. Städtebauliche Komposition

Klassische Harmonie- und Ästhetiktheorien

Vitruv, „Zehn Bücher über Architektur“, ab 33 v. Chr.

Alberti, „Über das Bauwesen“, 1443–1452

Palladio, 4 Bücher der Architektur, 1570

Geometrie: Euklid, „Elemente“, um 300 v. Chr.

Klassische Proportionslehren, goldener Schnitt

Geometrische Grundformen

Punktelemente, lineare Elemente, Flächenelemente

Organische Grundformen

Bewegungslinien und Simulation von Bewegungen (Naturinspiration), Mäanderformen

Kurvenlinien und dreifach gekrümmte Flächen

Asymmetrische und deformierte Grundformen

Ordnungssysteme von mehreren Elementen (Raumsystem)

Additive Ordnung

Llineare Ordnung

Hierarchische Ordnung

Collagierte Ordnung

Überlagernde Ordnung

Organische Ordnung (resultierend aus Wachstumsprozessen und informellen Handlungsweisen)

Wilde Ordnung (Chaos)

Kompositionsprinzipien Struktur

Reihung, Rhythmus

Freie Komposition über offene Gruppierung, Haufen

Zentrale Gruppierung um eine Mitte

Gruppierung entlang einer Linie

Gruppierung entlang einer Achse

Themenordnung durch lineare Elemente (Zonierung)

Streifen, Bänder, Feldstrukturen

Klassisches Ordnungsmuster des rationalen Städtebaus

Raster, Gitter, Feldzuordnung

Blockstrukturen in vielen Städten

Ordnungssysteme, z.B. im Parc de la Vilette, Paris

„Layer“- Organisation

Ein Demontageprozess führt zu einer vertikalen Aufschlüsselung von komplexen Formen zu übereinander geschichteten Layerstrukturen. Dieses ist zum Beispiel ein klassisches Mittel in der Archäologie, um verschiedene Siedlungsschichten und „Zeithorizonte“ darzustellen. Beim Entwerfen kann eine Themenzuordnung in vertikal auseinander gezogenen und gestapelten Flächen oder in einem inhaltlichen Bezugssystem erfolgen, zum Beispiel: Komposition und Form; Grund und Objekt, Maßstab, historische Formen - Bestand; Strukturelle Schichtung unterschiedlicher Kompositionselemente, funktionale Aufschlüsselung usw.

Geometrische und mathematische Modelle

Geometrische und mathematische Modelle können als Erklärung von Wachstums- und organischen Konstruktionsprinzipien, aber auch von städtebaulichen Strukturen dienen. Die Entwurfsstrategien für Hochbauten gelten auch fürs städtebauliche Entwerfen. Die Kompositionsprinzipien bestimmen die Form und den Ausdruck einer Stadtstruktur.

Komposition

Allgemeine Kompositions- und Gestaltungsprinzipien

Proportionen, Vokabular der Architektonischen Eigenschaften

Grundsatzhaltung Organische Formensprache

Wachstum, Wachstumsmodelle, informelle Handlungs­wei­sen, Simulation, Collage, Bewegung, Naturinspiration, Natur als Vorbild, Geometrische Modelle als Erklärung von Wachstums und Konstruktionsprinzipien

Grundsatzhaltung Rationale Formensprache

Geometrische Grundelemente, Rationale Ordnungssysteme: Linie, Achse, Raster, Gitter, Streifen, Felder, Reihung, Klassische Proportionsregeln der Geometrie

Additives Prinzip, Collage

Aufgrund städtebaulicher Vorgaben Auflösung in einzelne Baukörper mit jeweils spezifischem Gebäudeausdruck, additives Entwurfsprinzip; Organische Formen als Resultat eines Verschmelzungsprozesses, extrovertierte Architektursprache

Subtraktives Prinzip

Herausschneiden einer Gebäudestruktur oder von Stadträumen aus einer Bau­mas­se, die z.B. durch städtebauliche Vorgaben vorge­ge­ben ist. Kompositionsspiel: positiv - negativ, Figur - Grund, introvertierte Architektursprache

Faltung und Deformation

Faltung, Umformung, Deformation einer Flüche oder eines Kör­pers in der dritten Dimension aus städtebaulichen Gründen

Typus

Städtebaulicher Baustein als „Entwurfszelle“

Modulares Denken

Ausgangspunkt für einen Transformationsprozeß (An­pas­­sung an spezifische räumliche Verhältnisse) auf der Ba­sis einer Parzellenstruktur

Städtebauliche Analyse

Berücksichtigung von Kontext, Bestand, Struktur, lokale Gebäudetypologien, Topographie, Geschichtliche, historische Ebe­nen, räumlichen Beziehungen. Das Einfügen einer Bebauung nach dem Prinzip der Anpassung (des Aufgehens in einer Bestandsstruktur) oder des Widerspruchs (das Heraus- und Freistellen eines Gebäu­des aus dem Kontext); Teil der (städtebaulichen)  Masse oder Objekt

Vokabular der Stadt

Verfremdung urbaner Infrastrukturen und des städtebaulichen Vokabulars in Entwürfe für öffentliche Gebäude

Orte der Inspiration als Vorbild, Transformation von städtebaulichen Themen zu Gebäudekonzepten

Ständige Aspekte

Funktion/Raumprogramm/städtebauliche Programm, Konstruktion, Material, Modul, Oberfläche, Fassade 

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26. Städtebauliche Elemente als konzeptuelles Entwurfsvokabular

Grundlage dieser Entwurfsmethode ist die Faszination für die klassische Stadt mit ihrer Vielfalt an urbanen Räumen und Themen sowie deren gesellschaftlicher Bedeutung. Folgende Aspekte spielen dabei eine Rolle:

- Ein Grundbedürfnis des Einzelnen ist die Teilnahme am öffentlichen Leben im öffentlichen Raum.

- Es besteht ein demokratische Verständnis vom Wechselspiel öffentlicher Raum und Gesellschaft.

- Bauherren und Planer geben ein Plädoyer für das selbstverständliche Leben in einer offenen Gesellschaft ab und erklären die Teilhabe aller Gruppen an das öffentliche Leben als Ideal.

- Der Wunsch nach der „urbanen“, lebendigen und lebenswerten Stadt ist das Ziel aller Beteiligten.

- Die Möglichkeit mit einem Neubau eine Plattform für die Präsentation von gesellschaftlichen Prozessen zu kreieren wird schon in den ersten Ideenskizzen für eine Planung mit einbezogen. Treffpunkte, Kommunikation, Versammlungen, Feste, Demonstrationen usw. dürfen in einem Gebäude stattfinden.

- Eine doppelte Benutzbarkeit der öffentlichen Infrastrukturen und Stadträume wird ermöglicht und zugelassen.

Klassische städtebauliche Raumelemente, das „Vokabular der Stadt“, bilden ein wert- und „stilneutrales“ Formvokabular von öffentlichen oder Öffentlichkeit erzeugenden Architekturformen. Sie entstehen aus einem infrastrukturellen Bedarf und entwickeln ihre Form in Rücksichtnahme auf topographische, klimatische und gesellschaftliche Bedingungen. In der Kombination mit anderen, nicht für das eigentliche Funktionieren notwendiger Nutzungen, entstehen neue Mischformen, die zu spannenden, komplexen und unüblichen Architekturen führen. Dieses kann eine Nutzungsüberlagerung oder die Kombination von unterschiedlichen Bautypen sein. Da diese „Infrastrukturgebäude“ aus den lokalen (Nutzungs-) Gegebenheiten entwickelt werden, sind sie lokal in Ort und Topographie verwurzelt und bilden einmalige, charakteristische städtebauliche Situationen.

Der Entwurf setzt eine sorgfältige städtebauliche Analyse voraus. Die Struktur, Topographie, bestehende Verkehrsströme und die Lage des Grundstückes zu den Verkehrsadern, räumliche Position weiterer wichtige öffentliche Gebäude in Beziehung zum Neubau können entscheidende Ansatzpunkte sein. Es entstehen Bebauungsformen mit einer großen öffentlichen Wirkung. Die Kombination von Brücke mit Wohnbebauung und Läden lässt zum Beispiel bei der Ponte Veccio in Florenz eine einmalige Situation entstehen. Besonders bei öffentlichen Bauten (Museum, Rathaus, Bibliothek usw.) bilden diese städtebaulichen Motive ein Entwurfsvokabular, mit dem die Erschließungen der Gebäude, mit der wichtigen Ausbildung der Zwischen- und Schwellenräumen, gestaltet werden kann. Städtebauliche Themen können den Konzeptschwerpunkt eines Entwurfes bilden. Zum Beispiel bilden ein öffentlicher Platz, Arkadengänge und ein Durchgang zum Fluss beim Rathaus in Logrono von Rafael Moneo die zentralen Entwurfsthemen. Das eigentliche Bau- und Raumprogramm wird mit einer entscheidenden öffentlichen Fremdnutzung „aufgeladen“ und verfremdet. Die Attraktivität eines Gebäudes im städtebaulichen und gesellschaftlichen Kontext wird damit entscheidend gesteigert. Diese Fremdnutzung basiert auf dem städtebaulichen Vokabular, ist jedoch aus seiner ursprünglichen Bedeutung herausgelöst und transformiert.

Da sich die infrastrukturellen Bedingungen radikal verändert haben, zum Beispiel der Verkehr, die Art der Kommunikation innerhalb der Bevölkerung oder Funktionsentmischung innerhalb der Städte, tauchen die alten, „klassischen“ Begriffe wie Stadtstraße, Stadtplatz, Marktplatz, Kreuzung, Passage usw. in völlig veränderter Form in neuen öffentlichen Bauformen wie Flughafen, Mall, Entertainment- Center oder Autobahnkreuz wieder auf. Unterschiedliche Funktionsbedingungen und technische Weiterentwicklungen bedingen eine komplett andere Erscheinungsform dieser Gebäude verglichen mit den alten städtischen „Modellen“.

Bedingungen für das Entstehen von lebendigen öffentlichen Räumen

Bewegung - als Fußgänger; Kommunizieren; Ausruhen + Treffen und Kommunizieren; Sehen und Gesehen werden; Anhalten, Ausruhen, Ausblick; Teil der Gruppe; Nutzungsüberlagerung + Nutzungsaddition + Kombination

Entwurfsmethode Übertragung

- Inspirierende städtebauliche Motive als Vorbild für Architekturkonzepte

- Städtebauliche Motive als Mittel der Inszenierung von Eingängen, des „Zwischenraums“ und der Gebäudeerschließung

- Analogie: das Haus als Abbild der Stadt (Flur = Straße, Foyer = Platz, Treppe = Promenade, Dach = Terrasse)

- Innere Erschließung als Fortsetzung des öffentlichen Raums

- Innen - außen als Kontinuum der körperlichen Bewegung

- Architektur als „Geschenk“ für die Gesellschaft

- Das Programm wird mit einer öffentlichen Fremdnutzung und weiteren städtebaulichen Motiven thematisch “aufgeladen” und kombiniert

- Architektur als Ort der Begegnung und des Aufenthalts

Die Mittel

- Transformation

- Kombination

- Aufladung (mit einer Fremdnutzung)

- Verfremdung

Liste der Städtebaulichen Elemente

Straße, Gasse, Weg

Eigenschaften: lineares Element, Infrastruktur

Funktion: Transport, Verbindung, Verkehr, Erschließung, Bewegung

Sinnliche Qualität: Spiegel der Gesellschaft

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Centre Pompidou, Bahnhof Herleen, Holland

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Schnellstraße

Kanal

Eigenschaften: Sonderform „Wasserstraße“

Funktion: Infrastruktur, Transport

Sinnliche Qualität: Kontrast Land - Wasser, Lichtspiegelungen, Nutzung der Wasserkante

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Venedig, Amsterdam

Allee, Boulevard

Eigenschaften: lineares Infrastrukturelement, Baumbestand, breiter Bürgersteig, Grünstreifen

Funktion: Verbindung, Verkehr, Erschließung, Bewegung

Sinnliche Qualität: „Gleichgesinnte“ treffen, spazierengehen unter Bäumen, Großzügigkeit

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Alleepromenade auf der Stadtmauer in Lucca; Pariser Boulevards

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Autobahn

Promenade, Uferpromenade, Promenadenrampe

Eigenschaften: lineares Element, zu einer Seite offen (Meer, Landschaft), manchmal überdeckt

Funktion: Infrastruktur, Verbindung, Erschließung, Bewegung, nur Fußgänger

Sinnliche Qualität: „Gleichgesinnte“ treffen, spazierengehen, Natur erleben, beobachten, erholen, sonnen

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Coney Island in New York

Adelphi, Robert Adam; Algier, Hafenfront; Villa la Roche, Le Corbusier; Nationalbibliothek Paris, OMA; Centre Pompidou; Rotterdam Museum, OMA

Arkade, Portikus, Veranda

Eigenschaften: einseitig offenes Begrenzungs- und Verbindungselement als Zwischenraum öffentlich - privat

Funktion: Erschließung, Bewegung, Wetterschutz, Vorzone, Schwelle, Zwischenbereich, Repräsentation

Sinnliche Qualität: wettergeschützter Aufenthalt, beobachten

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Griechischer Tempel; Telc in der Tscheschei; Maidan i Schah in Isfahan; Piazza Ducale in Vigevano; Palazzo Chiericati, Palladio; Menil Collection, Piano; Römische Bäder, Schinkel; Rathaus Logrono, Moneo

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Vordächer

Kolonnade, Pergola

Eigenschaften: beidseitig offenes lineares Begrenzungs- und Verbindungselement

Funktion: Verbindung, Erschließung, Bewegung, Wetterschutz

Sinnliche Qualität: wettergeschützter Aufenthaltsort, beidseitiger Aus­blick und Rückblick

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Maidan i Schah in Isfahan Vichy, Kurpromenaden; Petersplatz in Rom

Laubengang, Balkon

Eigenschaften: halboffenes Element an den Fassaden über dem Straßenniveau, oft durch Topographie­sprüngen bedingt

Funktion: Austritt, Transparenz zum Außenraum

Sinnliche Qualität: Ausblick, Rückblick, Überblick

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Palazzo della Ragione, Vicenza, Palladio

Steg, Hafensteg, Mole, Kaimauer

Eigenschaften: lineares Topographieelement im/am Wasser

Funktion: Infrastruktur, Erschließung, Anlegestelle für Bootsverkehr, Wellenschutz für Hafenbecken

Sinnliche Qualität: „Gleichgesinnte“ treffen, spazierengehen, Na­tur erleben, Ausblick, beobach­ten, erholen, sonnen

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Triest, Genua

Treppe, Rampe

Eigenschaften: Treppen oder Rampenanlagen zur Höhenüberwindung

Funktion: Infrastruktur, Verbindung, Verkehr, Erschließung, Bewegung

Sinnliche Qualität: sitzen, ausruhen, beobachten, Erlebnis der sich verändernden Wahrnehmung der Umgebung beim aufsteigen

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Rom, spanische Treppe; Literarys Platz, Santiago de Compostella; Bibliothek New York; Staatsbibliothek München; Centre Pompidou; Nationalbibliothek Paris, Perrault; Guggenheim Museum, New York, F. L. Wright

Passage

Eigenschaften: mit Glasdächern überdeckte Straße

Funktion: wettergeschützte Verbindung, Verkehr, Erschließung, Bewegung, Verkauf, Handel, Gastronomie

Sinnliche Qualität: geschützte Fokussierung, Teilnahme, Beobachtung von konzentriertem öffentlichem Leben, hohe Aufenthaltsqualität

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Passage in Neapel, Galleria Umberti I; Passage Pommeraye Nantes; Eaton Center, Toronto; Glaspalast London

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Einkaufs­zentrum, Mall

Kreuzung

Eigenschaften: Treffpunkt zweier Straßen

Funktion: Infrastruktur,  Verkehrsumleitung

Sinnliche Qualität: Treffpunkt, Konzentration, Kollision, Zeichen, Symbol

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Palermo

Platz, Vorplatz

Eigenschaften: zentrales Punktelement, Fläche Infrastruktur

Funktion: Treffpunkt, Veranstaltungen, Versammlung, Markt, Präsentation, Vorzone, Eingang zu öffentlichen Bauten Sinnliche Qualität: Fokussierung, Teilnahme, Beobachtung von konzentriertem öffentlichem Leben

Ruhepunkt, Erholung

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Place de Vosges in Paris; Campo in Siena; Centre Pompidou in Paris von Piano, Rogers; Rathaus in Logrono von Moneo; Moschee in Cordoba

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Tankstelle, Parkplatz, Bahnhof, Flughafen Shopping Centre

Bazar, Kasbah, Markthallen

Eigenschaften: Flächenelement, vernetzte überdeckte Wegestruktur

Funktion: Wettergeschützte Infrastruktur, zentralisierter Handel, Verkauf, Gewerbe, Gastronomie

Sinnliche Qualität: Geschützte Fokussierung, Teilnahme, Beobachtung von konzentriertem öffentlichem Leben

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Kaufhaus, Shopping Centre (Mall)

Terrasse, Plattform, Promenadenterrasse

Eigenschaften: nach allen Seiten offene Fläche / Platz an besonderen Topographiepunkten

Funktion: Treffpunkt, Veranstaltungen, Versammlung, Markt, Präsentation, Vorzone, Eingang zu öffentlichen Bauten Sinnliche Qualität: Fokussierung, Teilnahme, Beobachtung von konzentriertem öffentlichem Leben

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Piazzale Michelangelo, Florenz¸Nationalgalerie, Mies v. d. Rohe; Aussichtsterrasse Empire State Building; Nationalbibliothek Paris, Perrault; Strandbad Wannsee, Berlin, Martin Wagner; Reichstag Berlin, Foster; Kunst-und Aus­stellungshalle Bonn, Peichl

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Aussichts­terrassen auf Flughäfen

Öffentliche Höfe

Eigenschaften: platzartiges Erschließungs- und Belichtungselement bei großen Baumassen, manchmal mit Gärten

Funktion: Erschließung, Repräsentation

Sinnliche Qualität: Ruhepool, Ausruhen, Genießen des Innenbereiches

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Kirchen- Klosterhof; München, Residenz; Sevilla, islamischer Hof im Alcazar; Hackesche Höfe in Berlin; Danteneum, Rom, Terragni, Institut de Monde Arabe in Paris, Jean Nouvel

Tor, Durchgang

Eigenschaften: Durchgangselement bei alten Stadtmauern, Hindernissen, Topographiesprüngen

Funktion: Infrastruktur, Verbindung, Verkehr, Erschließung, Bewegung

Sinnliche Qualität: spannende Schwellenwirkung, Beobachtung der räumlichen Veränderung vorher - nachher

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: La Defence in Paris, Johann Otto von Spreckelsen und Nouvel; Barcelona Pavillon, Mies v. d. Rohe

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Tunnel, Fußgängerunterführungen

Brücke

Eigenschaften: lineares Verbindungs­element, Überbrückung von Flüs­sen und Topographiesprüngen

Funktion: Infrastruktur, Verbindung, Verkehr, Erschließung, Bewegung

Sinnliche Qualität: Ausblick, Natur- Umraumerlebnis, Zeichen- Symbol, Treffpunkt

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Ponte Veccio, Florenz; Brooklyn Bridge Promenade, New York

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Flughafen- Verbindungsgänge

Park, Garten

Eigenschaften: begrünte Flächen

Funktion: Erholung, Sport, Jagd, Repräsentation

Sinnliche Qualität: Naturerlebnis, Erholung, Beobachtung, Genuss

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Central Park, New York; Padua, Prato della Valle; Nationalbibliothek Paris, Perrault

Labyrinthischer Wegeteppich

Eigenschaften: informell entstandene komplexe Vernetzung von Straßen, Gassen, Wegen, Plätzen, Höfen zu einer Gesamtfigur

Funktion: Verbindung, Verkehr, Erschließung, Bewegung

Sinnliche Qualität: geheimnisvolle Wirkung

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Islamische Stadt; Entwurf eines Kongresszentrums in Algier, OMA, Labyrinthanlagen in Renaissancegärten

Turm

Eigenschaften: zeichenhaftes Höhenelement, Aussicht aus hoher Bebauungsdichte

Funktion: Wehrturm für Verteidigung, hohe Ausnutzung des Grundstücks, Repräsentation, Sichtbarkeit (Kirche), Hörbarkeit (Kirchenglocken, Minarett einer Moschee)

Sinnliche Qualität: Aussicht, Orientierung, Zeichen, Symbol

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Kombination Torre Guinigi mit einem Garten in Lucca; Kombination Terrasse mit dem Empire State Building in New York; Fahrstuhl Santa Justa Lissabon

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Bankentürme, Funk- und Fernsehtürme

Stadion, Theater, Amphitheater

Eigenschaften: Konzentriertes, meist punktförmiges Rundelement

Funktion: Kultur- Spiel, Repräsentation, Versammlung

Sinnliche Qualität: Erholung, Verführung, Fokussierung, Teilnahme, Beobachtung von konzentriertem öffentlichem Leben

Beispiel für Nutzungskombination und Verfremdung: Campo in Siena (Pferderennbahn)

Adäquates zeitgenös­sisches Beispiel: Kinopalast, Sportanlagen, Entertain­ment Center, Disney World 

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27. Planung öffentliche Gebäude

Die Planung von öffentlichen Gebäuden bedeutet Architektur für die Gesellschaft zu schaffen. Bei jedem Projekt muss eine für den Nutzer maßgeschneiderte Lösung entworfen werden, die bei größeren Bauvorhaben die Wirkung und Verantwortung eines Gebäudes gegenüber der Öffentlichkeit und das Erzeugen von öffentlich wirksamem Raum in den Vordergrund stellt. Mittels der Architektur Orte der Kommunikation, der Begegnung und des Aufenthalts zu schaffen ist das Ideal. Die Architektur bildet den räumlichen Rahmen und Kristallisationspunkt, in dem der kommunikative Austausch der Gesellschaft stattfindet. Öffentliche Gebäude sollen der Kommunikation zwischen den Menschen dienen, Orte des Treffens sein.

Planungsschritte

Städtebauliche Vorgaben

Zulässige Nutzungen; Baulinien- und Grenzen, Bauhöhen; zulässige Bebauungsdichte (GFZ); zulässige überbaubare Fläche (GRZ); Abstandflächen, vorhandene Bebauung. Informationen sind zu finden in der Bauordnung, den gültigen Bebauungsplänen, dem Flächennutzungsplan und dem §34 vom Baugesetzbuch, wenn kein Bebauungsplan vorhanden ist.

Städtebauliche Entwurfskriterien für den Kontext

- Einfügung eines neuen Projektes in die lokale Stadtstruktur (offene - geschlossene Bau­wei­se)

- Wirkt das Gebäude in seinem Kontext positiv (Objekt) oder negativ (raumbildend)?

- Ist das Gebäude zur existierenden Struktur im Sinne der Anpassung oder des Wider­spruchs gedacht?

- Beziehungen zu vorhandenen „Objekt - Bauten“ oder charakteristischen Freiräumen

- Wie sehen die historischen Schichten, Ebenen aus?

- Wie ist die Geschichte des Grundstücks?

- Referenzen zur lokalen Bebauung

- Typologische Merkmale und Besonderheiten der Parzellen und Gebäude

- Materialien, Konstruktion, Fassadenordnungen

- Bebauungsfomen, z.B. Dächer, Erker usw., spezifische Besonderheiten im Fußgängerbereich (Arkaden o. ä.)

- Planung mit der Topographie (Gefälle?), Bezug auf Besonderheiten wie Wasserläufe, Seen

- Rücksichtnahme auf charakteristische und raumprägende Infrastrukturen (Straßen, Auto­bahn, Eisenbahn usw.)

Gebäudegröße

- Ermittlung der Gebäudegröße über einen Schemaentwurf als Diagramm oder Modell

- Ermittlung des Verhältnisses BGF (Bruttogeschoßfläche) zur Nutzfläche (HNF oder NF, die Programmfläche)

- Testentwürfe zur Gebäudegrößen bei unterschiedlicher Geschoßanzahl und Organisationsformen (z.B. Einbund- Zweibund- oder Dreibundanlage)

Grundrisstypologie

- Diagramm der inneren Funktionsabläufe (Organigramm)

- Diagramm der Größenverhältnisse der einzelnen Programmbereiche zueinander

Ermittlung der Flächengrößen einzelner Programmbereiche

Ermittlung von Sonderräumen (Hallen, Vortragsräume, Ausstellungsflächen usw.), besondere Raumhöhen (Heraus­stellen ja - nein?), Flexibilität von Raumzuordnungen erforderlich?

Erschließungsprinzip

Die Erschließung kann als Fortsetzung des öffentlichen Raumes betrachtet werden. Eine Beziehung der inneren Erschließungsräume zu Außenräumen ist mit dem Mittel der Transparenz zu planen. Eine offene Erschließung mit Publikumsverkehr ist baurechtlich gese­hen nicht unbedingt die notwendige Erschließung. Gebäude müssen behindertengerecht sein (Aufzüge, Lage, Rolltreppen,). Die baurechtliche Erschließung erfolgt über Fluchttreppen (min 35m Abstand von jedem Raum, falls innen liegend mit Schleusen). Es sind immer 2 Fluchtwege nötig.

- Hallenerschließung, Lage und Form der Halle

- Promenadenerschließung (Inszenierung über eine Abfolge unterschiedlicher Raumerlebnisse)

- Hierarchische Ordnung der Erschließung

- zentrale Erschließung über innen liegenden Kern

- außen liegende Erschließung (z.B. an der Fassade)

Konstruktion

Auswahl der Tragstruktur entsprechend Raumprogramm, der Raumgrößen, einer möglichen Flexibilität, Art der Haustechnik.

- Tragenden Elemente:  Kerne, Wände, Stützen (Skelett)

- Aussteifende Elemente: Einspannung, Rahmen usw.

- Konstruktionsraster und Tragweiten der Elemente

6-9 m = Plattendecke, evt. mit Unterzügen, Höhe bis 0,5 m

9-12 m = Plattenbalkendecke, Gitterrost, Höhe bis 1 m

12-20 m = Trägerdecke, Höhe ca. 1/10 - 1/20 der Traglänge

> 20 m = geschosshohe Träger, Höhe 3 - 4 m

Belichtung, Belüftung

- Analyse Ausrichtung des Gebäudes, Sonnen­ein­strahlung

- Transparenz der Stadträume zu Innenräumen

- Nutzungsprofil der Räume: Seitenlicht, Oberlicht (Museum)

- Blendschutz, Blendungsfreiheit

- Sonnenschutz

- Verdunkelungsmöglichkeit

- natürliche Belüftung

- mechanische Be- und Entlüftung mit stationärer Heizung, Kühlung oder Klimaanlage, es sind notwendige Technikflächen im Grundriss und un­ter den Decken vorzusehen. 

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28. Stadt und Topographie

Die Formen von Städten ist das Ergebnis von vielfältigen Entwicklungen. Die Summe der einzelnen Häuser, oft eines lokalen speziellen Haustypus, wird von einer städtebaulichen Struktur, Ordnung zusammengehalten. Diese städtebauliche Struktur basiert auf die verkehrliche Erschließung und auf den Eigentumsverhältnissen. Wege, Straßen, Kreuzungen und Plätze bilden das formale Rückgrat der Stadt, in deren Rahmen sie sich weiter entwickelt und verdichtet. Die Form der Struktur, wie sie sich überlängere Zeiträume entwickelt, aber auch unmittelbar geplant werden kann, hängt unmittelbar mit der Topographie zusammen. Über längere Zeiträume folgen gewachsene Strukturen in ihrer baulichen Form unmittelbar den topographisch, landschaftlichen Merkmalen. Wege und Grundstücksbildungen nehmen in Ihrer Form auf die Höhenentwicklungen und der Morphologie Rücksicht. Bestehende Infrastrukturlinien, Kreuzungen von Wasserläufen an geeigneten Übertrittsstellen, landschaftlich natürlich geeignete Punkte für Hafenanlagen können Ausgangspunkte für eine Ansiedlung sein und in Ihrer natürlichen Form die folgende Entwicklung zu einer Stadt mitbestimmen. Bei in einer Einheit geplanten Städten richtet sich die Struktur meist nach rationalen, geometrischen Prinzipien aus, die sich bei einer topographisch anspruchslosen Situation, beispielsweise einer flachen Ebene, auf sehr ökonomische Art und Weise umsetzten lassen. Wird die Stadt aus verschiedenen Gründen in einer schwierigen Situation errichtet (Verteidigung oder Wasserversorgung), kann sich die Form der Struktur den entsprechenden Gegebenheiten im organischen Sinne anpassen. Meist wird die Struktur an den Höhenlinien ausgerichtet mit dem Ziel gleichmäßig bebaubarer Grundstücke und eine Straßenausrichtung mit nicht zu steiler Steigung zu erhalten.

Timgad - Djemila

Die römischen Stadtgründungen Timgad und Djemila in Nord­afrika (heute Algerien, Lybien) wurden zur selben Zeit mit ungefähr dem gleichen Bauprogramm vom Römischen Reich errichtet und sind gute Beispiele für den planerischen Umgang mit der örtlichen Landschaft. Die Städte unterscheiden sich grundsätzlich in ihrer Form. Timgad liegt in einer flachen Ebene und folgt in der Gründungsform dem Quadrat und dem Raster als Ordnungsprinzip. Das gleich große Djemila ist auf dem Kamm eines Hügels errichtet, daher ist die Form völlig anders. Die Stadt ist lang gezogen und der Topographie über geschwungenen Wege angepasst. Die einzelnen Siedlungsteile sind gegeneinander verdreht und parallel zu den Höhenkanten angeordnet.

Priene

Ist der rationale Ordnungssinn stark ausgeprägt (meist mit gesellschaftlichen Hintergrund) können sich Stadtgründungen auch ignorierend zur Topographie verhalten. Ein gutes Beispiel ist die griechische Stadtgründung Priene in Kleinasien (heutige Türkei), die an einem Hang liegt und über ihre Gitterstruktur, die abstrakt über den Hang gelegt ist, einen Höhenunterschied von über 100 Meter überwindet. Als weiteres Beispiel ist San Francisco in Nordamerika zu nennen.

Faszination Stadt

Die Stadt ist ein Resultat der Zivilisation, in das sich Jahrtausende Gesellschaftsgeschichte eingeschrieben hat. Städte sind ge­kennzeichnet durch einen Reichtum an Formen und Inhalten. Typologische Konvention, Nutzungsmischung, Infrastruktur im humanen Maßstab und eine weit gestreute Eigentums- und Parzellenstruktur sind die Eigenschaften der traditionellen Stadt. Diese ist ein gestalterisches Vorbild, eine kulturelle Identität, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart wirkt. Bei Planungen hat die Rücksichtnahme auf den lokalen Kontext, die Typologien und die soziale Komplexität höchste Priorität.

Lesen + Verstehen von Stadtstrukturen   

Die Analyse von Stadtstrukturen, Stadtplänen dient als Schlüssel für das Verständnis des komplexen „Wesens“ Stadt. Dabei sind auf der einen Seite rational gedachte und geometrisch geformte Planungsschübe und auf der anderen Seite das organische und informelle Wachstum der Städte von besonderem Interesse. Die gegenseitige Wechselwirkung und das Ineinandergreifen von gewachsenen Strukturen, geometrischen Eingriffen und Planungen ergibt bei vielen Städten eine aus heutiger Sicht komplexe und auf dem ersten Blick schwer nachvollziehbare Form. Gründe für Wachstumsschübe sind in gesellschaftlichen Hintergründen zu suchen. Ebenso ist Aufmerksamkeit auf die topographischen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu legen, dienen sie fast immer als Auslöser für die spezifische Form von Stadtstrukturen. 

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29. Stadtanalyse

Anhand der Analyse von mehreren Stadtbeispielen soll aufgezeigt werden, wie visuell über unterschiedliche Medien und Zeichnungstechniken Städte dargestellt und in ihrer historischen Entwicklung erklärt werden können. Die beiden Städte Palermo und Amsterdam haben sich in mehreren Schritten entwickelt. Bei Palermo ist die Überlagerung von unterschiedlichen Entwicklungs- und Planungskulturen von besonderem Interesse. Der Rationale Umgang mit der Entwässerung, Flussregulierung und Erschließung über den Wasserweg steht bei der Entwicklung von Amsterdam im Vordergrund. Die kleine Stadt Urbino besticht durch Ihre besondere Einfügung der Stadt, des Palasts und Platzanlage aus der Renaissance in eine Hügellandschaft. Auch die Siedlung Frankfurter Römerstadt ist geschickt in die bestehende topographische Situation am Stadtrand von Frankfurt eingefügt. Die Analyse wird visuell über grafisch aufgearbeitete Zeichnungen vorgenommen. Über Farben werden die Zeitebenen und Wachstumsabschnitte plakativ dargestellt. Besonderer Merkmale wie Topographie (Höhenlinien), wichtige, die Form bestimmende Infrastrukturlinien oder Wasserflächen werden isoliert herausgestellt.

Palermo - Überlagerung

Palermo ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Überlagerung einer geometrischen Planung, die antike Urzelle, von organischen Erweiterungen zu den islamischen Zeiten mit topographischen Veränderungen sowie späteren städtebaulichen Eingriffen. Die antike Urzelle liegt als geometrische Gitternetzplanung auf einem Plateau und wird von zwei Bächen seitlich umflossen. Eine Verlandung der beiden Flussläufe und Veränderung der Küstenlinie mit der charakteristischen Hafeneinbuchtung sowie mehrere Wachstumsschübe bestimmen die Form der Stadtentwicklung zu islamischer Zeit. Im Gegensatz zur geometrisch-rationalen Gitternetzstruktur der Urzelle sind die islamischen Erweiterungen in organischer Form mittels geschwungenen Wegen an die Topographie, Hangkanten und Uferläufen angepasst. Es entstand eine typische, als Orga­nismus wir­kende islamische Stadt unterhalb des alten Sied­lungsplateaus. Am Ende der normannischen Epoche hat die Altstadt ihre maximale Größe erreicht und eine Stadtmauer als Begrenzung erhalten. Geometrische Eingriffe in die organisch gewachsenen islamischen und normannischen Stadterweiterungen dienen während der Renaissance als Darstellung der herrschenden Machtverhältnisse. Die Perspektive wird als Gestaltelement in den Einschnitten verwendet. Die heutige Stadtstruktur ist ein Resultat und Spiegel der historischen Entwicklung, Epochen und wechselnden gesellschaftlichen (Macht-) Verhältnissen. Die verschiedenen Zeitepochen sind wie räumliche Ebenen übereinander gelegt und visuell in der Stadt sichtbar.

Zeittafel

8 Jahr. v. Chr., Ansiedlung der Phönizier

480 v. Chr., Griechische Kolonie (Schlacht von Himera)

251 v. Chr., Palermo liegt im römischen Einflussbereich

450, Zerfall des Römischen Reiches, Vandalen

500, Byzantinische Herrschaft

831, Arabische Herrschaft über Sizilien, Palermo als Hauptstadt, wirtschaftliche Blüte

1100, die Normannen nehmen Sizilien ein

1130, Palermo als Hauptstadt des Normannenreichs

1200 - 1230, Friedrich II, wirtschaftlicher Aufschwung

1282, Aragoneser, Normannisch - Staufisch

1415, Spanische Herrschaft

1700, Österreich

1734, Spanien, Haus Bourbone

1860, Anschluss an Italien

Wichtige städtebauliche Eingriffe

1464 - 1570, der Hafen wird nach Nord- Ost ausgebaut. Es entsteht eine monumentale und repräsentative Stadtansicht vom Meer.

1570 - 1583, die antiken Straße, der Cassero, wird bis zum Meer verlängert. An ihren Enden wird die Straße durch monu­mentale Tore eingefasst, „Entdeckung der Perspektive“, Verbindung der gro­ßen Plätze miteinander.

1597, die Via Maqueda wird als Gegenachse durch die Stadtstruktur geführt: eine städtebauliche Kreuzform durchschneidet die alte Stadt mit der Piazza Quattro Canti als Mittelpunkt der Stadt.

19.-20. Jahrhundert, die beiden Achsen werden in die Land­schaft und die Vorstädte verlängert. Die Via Roma wird als weiterer Ost-West Schnitt durch die Altstadt geführt.

Amsterdam - Konvention

Bei Amsterdam ergibt im Zeitraum von 4 Jahrhunderten ra­tio­nale, technische, insbesondere wasserbautechnische Planungserweiterungen um eine organische Urzelle, die Beachtung einer infrastrukturellen Konvention (Entwässerung - Kanalsystem) und die Entwicklung einer gebäudetypologischen Konvention eine einmalige und unverwechselbare städtebauliche Figur. Die Stadtstruktur von Amsterdam resultiert aus den besonderen topographischen Bedingungen, sowie deren landwirtschaftlicher Entwicklung unter technischen Aspekten. Die Entwässerung der flachen, nur wenig über dem Meeresspiegel gelegenen Landschaft mit einem komplexen Kanalsystem sind Merkmale der kultivierten Landschaft bei Amsterdam. Der Ursprung von Amsterdam liegt im Mittelalter an der Amstelmündung im IJ- Plain. Das bereits kultivierte Land zeichnet sich durch Landgewinnung mit der Hilfe von Deichen und einer Wassersperre an der Flussmündung aus. Die Urzelle von Amsterdam entsteht in organischer Form an der Amstelmündung hinter einer Wassersperre. Um den Was­serhaushalt der flachen Ebene weiterhin zu regulieren entstehen Entwässerungskanäle, die zusätzlich als Infrastruktur und formbestimmende Elemente für das weitere Siedlungsgebiet dienen. Diese Erschließungsform, mit dem primären Kanal- Flusssystem und dem sekundärem Wege- Straßensystem mit langen und schmalen Blöcken und schmalen Parzellen führt zu einer spezifischen Bebauungstypologie mit giebelständigen Häusern und einer hohen Bebauungstiefe.

Die Topographie der Landschaft im Mittelalter, der natürliche Verlauf der Amstel und die frühen infrastrukturellen Maßnahmen Deich und Amstelsperre bestimmen in ihrer Form direkt und indirekt die Gestalt von Amsterdam bis ins 17. Jahrhundert. Die folgenden Planungserweiterungen, abstrakt als rational- technische „Idealform“ gedacht, wachsen halbkreisförmig, in mehreren Ringen, einer Blume gleich, um den formgebenden Nukleus an der Amstel. Nach Norden ist die räumliche Entwicklung durch das IJ- Plain begrenzt. Es entsteht eine geschlossene, fächerartige Figur, welche formal eine markante Kombination von organischer Form (die Gruppierung um die geschwungene Außenlinie der mittelalterlichen Stadt) und rationalen Planungselementen (Gitternetz) der einzelnen Viertel ist. Eine „Idealstadt“ ist die auf die lokalen Verhältnisse projiziert und angepasst. Die funktional bestimmten Verteidigungsanlagen werden mit der Erweiterung des Kanalsystems kombiniert. Der mittelalterliche Nukleus und die existierenden Landstraßen sind in das Stadtgewebe als geometrische Störungen eingearbeitet.

Urbino - Palastanlage, Beziehungen

Urbino liegt inmitten einer malerischen Gebirgslandschaft, den Appeninen und diente als Fürstenresidenz von Federico di Montefeltro (1447 - 1482). Der Bau des Herzogspalasts ist ein herausragendes Beispiel für einen städtebaulichen Eingriff in der Renaissance und ist durch die Thesen von Alberti beeinflusst. Die Stadtbebauung befindet sich auf zwei Hügelrücken und ist von der umgebenden Landschaft aus weit sichtbar. Zur Süd- Ostseite, dem Ankunftsort von Rom kommend, orientiert sich die Stadt mit einer Schauseite zu einem Tal. Von dem gegenüberliegenden Hügel ergeben sich vielfältige Blicke auf das Panorama von Urbino. Die kleine Stadt mit der Palastanlage ist ein perfektes Beispiel für ein bewusst geplantes Stadtpanorama, die Einpassung einer Palastanlage in die Stadtstruktur und die Entwicklung eines Beziehungsgeflechts zwischen Stadt - Palast und hügeliger Landschaft. Vermittelnde Raumelemente, wie kleine Plätze, halboffene Höfe und Loggien sowie eine geschickte Gebäudegliederung führen zu einer hohen Ausgewogenheit in dem Verhältnis zwischen Palast, Stadt und Landschaft. Der Palast ist mit zusammen mit dem Dom in unterschiedliche Teile gegliedert, die in der Größe und Höhe die Silhouette formen. Die Hochpunkte sind harmonisch in das bestehende Stadtpanorama eingepasst. Die Panoramawirkung der Anlage wird insbesondere durch die Gebäuderücksprünge mit den halboffenen Höfen und Loggien, die zum Hauptgebäude gedrehten 2 Türme und die Dächer verstärkt. Der Grundriss und die Ansicht zur Stadt mit dem Dom werden durch eine geometrische Regelmäßigkeit geprägt. Die Bebauung passt sich der Nachbarbebauung an und fügt sich sensibel in den bestehenden Stadtraum ein. Auf der Stadtseite treten die Gebäude zurück, es entsteht eine Abfolge von 3 Plätzen (Piazza Ducale, Vorplatz Dom und der an­schließende längliche Platz). Das Herz des Ge­bäu­des ist der Ehrenhof, der im Mittelpunkt einer Achse liegt, welche die wichtigen Gebäude und Plätze miteinander verbindet. Auf der Hangseite formen verschiedene Terrassen, Loggien, hängende Gärten vermittelnde bzw. verzahnende Raumelemente zwischen den eigentlichen Palastbauteilen und dem Landschaftsraum. Wände, Loggien und Säulen- Rahmen dienen als optische Rahmen. Dadurch werden die Durchblicke und Ausblicke zur Landschaft inszeniert. Ebenso sind im Grundriss Sichtbeziehungen von Innenräumen zu ausgewählten malerischen Punkten in der Landschaft gesetzt.

Zitat Leonardo Benevolo, die Geschichte der Stadt:

„Der Palast, zugleich Zentrum und Fassade der Stadt, hob sich in seinen Dimensionen nicht zu sehr von den anderen Bauten ab. Er bestand aus vielen einzelnen Teilen, die in der zu jener Zeit neu aufkommenden geometrischen Regelmäßigkeit gebaut wurden; sie wurde jedoch nicht zu einem Merkmal des Gesamtkomplexes. So verlieh die neue Architektur der Stadt ein stattliches Aussehen, ohne deren historische Kontinuität zu zerstören.“

Frankfurt Römerstadt, Ernst May - Kontext

Die Siedlung Frankfurt Römerstadt befindet sich nördlich von Frankfurt am Main und wurde 1924 - 1928 von Ernst May geplant und gebaut. Die Siedlungsplanung gilt als gelungener Typ einer „organischen“ Figur, die das Resultat einer systematischen Planung ist, bei der die lokale Topographie und der Kontext berücksichtigt wurden. Das Bauprogramm, mit den der Zeit ent­sprechenden idealen Wohntypen, wurde sensibel in den Kontext eingearbeitet. Dabei spielten die Topographie (Hang, Tal, der kanalisierte Fluss Nidda), die vorhandene Straße nach Frankfurt und die Aussicht nach Frankfurt eine wesentliche Rolle. Der wichtige, die Gestalt prägende Aspekt ist die geschickte Einfügung in die bestehende Topographie. Die Bebauung ist in zwei Bereiche aufgeteilt. Die Haupterschließungsstraße ist ohne große Steigung an den Höhenlinien geschwungen geführt. Die Nebenstraßen verlaufen parallel zum Tal. Die Bebauung treppt entsprechend dem Hangverlauf ab, eine Sicht für viele wird angestrebt. Die Anlage von Terrassen und Aussichtspunkten, „Bastionen“, die zum Tal und nach Frankfurt am Main orientiert sind, dienen als gesellschaftliche Treffpunkte. Eine rational gedachte, ideale Zeilenbebauung wird so verformt und verfremdet, dass sie sich in die lokalen Bedingungen einfügt. Das Resultat der Planung ist ein Stadtviertel, welches unverwechselbar im Ort verwurzelt ist und dadurch eine Einmaligkeit erhält. Die Fehler vieler Siedlungsplanungen wie Uniformität, Monotonie und Beliebigkeit werden hier vermieden.

Siena - Ort und Topographie

Siena entwickelte sich aus drei Siedlungen, die sich jeweils auf drei Hügelkuppen entwickelt hatten. Diese drei anfänglich voneinander unabhängigen Gemeinden wurden über einen Weg auf dem Rücken der Hügel miteinander verbunden. Im Zuge des Siedlungswachstums und in der Folge der Verschmelzung dieser drei Siedlungsanlagen zu der Stadt Siena verdichtete sich die Bebauung entlang dieses Verbindungsweges auf den Bereichen an den Hügelkämmen. Das abschüssige Gelände zu den Talbereichen blieb anfänglich unbebaut. An dem Kreuzungspunkt, bzw. der Aufgabelung der Verbindungsstraße wurde in der Folge in einer beginnenden Talmulde der Campo angelegt, der fortan mit dem Rathaus das Zentrum von Siena bildete. Die Stadtentwicklung von Siena und die Anlage des Hauptplatzes entwickelten sich im Einklang mit der Topographie. Die Rücksichtnahme auf den Topos ist auch heute noch in der Stadtstruktur gut zu lesen und nachzuvollziehen. Die Bebauung folgt den geschwungenen Höhenlinien, insbesondere entlang der Verbindungsstraße. Die großartige geschwungene Hauptwand des Campoplatzes spiegelt genau die topographische Situation wieder. Der muschelförmige Platz öffnet sich zu dem nach Süden öffnendem Tal. Das Rathaus blockiert diese Offenheit und schließt mit der seitlich angrenzenden Bebauung den Platz. Hinter dem Rathaus besetzt die Markhalle als weiterer Stadtbaustein die Talsohle in dem Übergang zur offenen Landschaft.

Trier - Transformation

Die Stadt Trier in Rheinland Pfalz ist eine römische Stadtgründung und hat im Mittelalter eine interessante Transformation im Stadtgrundriss erfahren. Der antike Plan von circa 450 n. Chr. zeigt eine Stadtanlage in Form eines Gitternetzes, welches von einer Stadtmauer umgeben ist. Die Stadtmauer folgt weniger dem rechtwinkligen Gitternetz, sondern ist den topographischen Gegebenheiten vor Ort wie dem leichten Schwung der Mosel und einem Ansteigen der Topographie im Süden angepasst. Markant ist der Moselübergang in der Mitte der Stadtanlage. Die Brücke führt zu einem Forum über eine West-Ost Achse. Die Haupttore im Süden und Norden sind um eine Blockachse versetzt angeordnet. Insbesondere die Porta Nigra ist zu einer bedeutenden Ausfallstraße im Norden orientiert.

Mit dem Zusammenbruch des römischen Reiches wurde die Besiedlung des Stadtraums aufgegeben. Im Frühmittelalter wurde die Stadt mit ihren römischen Überbleibseln neu besiedelt. Das römische Gitter wurde mit einem neuen Wegesystem überlagert. Durch „Abkürzungen“, insbesondere von der Moselbrücke zu der Porta Nigra, wurde das Gitternetz aufgelöst und durch eine eher organische Wegeform und entsprechende Siedlungsform ersetzt. Das rechtwinklige System wurde mit mittelalterlichem Straßensystem und neuen Siedlungsinseln, die sich mehr im Norden befanden, überlagert. Die Lage der Stadtmauer blieb in Teilen erhalten. In römischer und mittelalterlicher Zeit war die Siedlungsfläche nie voll ausgefüllt, sondern wurde an den Rändern mit Gärten belegt. Daher wurde im Mittelalter ein engerer Bogen für die Stadtmauer im Süden und Osten errichtet. Fragmente der römischen Bebauung und von römischen Wegen wurde im Mittelalter wieder verwendet. 

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30. Paradoxien

Text 2016

Bewusstsein und Handlung sind nicht immer zwei Seiten einer Medaille. Die gesellschaftliche Einstellung zu Design, Architektur, Kunst und Städtebau ist geprägt von Paradoxien, die manchmal als unlösbar erscheinen. Theorie und Praxis driften auseinander. Die Realität überrollt den geistigen Wunsch. Die Emotionale Verbundenheit erzeugt nicht genügend Kraft das praktische Handeln zu beeinflussen oder zu verändern. Das Einfache und Praktische, die Gemütlichkeit, die Bequemlichkeit, das anscheinend Ökonomische, das „Billigere“ stehen im Weg. Das Technokratische gewinnt. Die Masse als Summe aller Einzelteile setzt sich durch. Machtstrategien, Interessen, Lobbyismus, Manipulation, Vereinfachung, Diffamierung sind die Mittel Paradoxien zu verstärken.

Erst eine echte Kosten - Nutzen Berechnung, Entstehung von erfolgversprechenden funktionalen Bindungen und eine kommunikative Aufladung des Handelns mit Repräsentation und Bedeutung lässt Paradoxien auflösen und das Bewusstsein, Verstand und Verständnis durch Handeln umsetzten.

Design

Hoch: Anerkennung

Gering: Relevanz für Entscheidungen

Architektur

Hoch: Bedeutung

Gering: Bereitschaft zum Bezahlen

Kunst

Hoch: Anerkennung der Klassiker, Bewunderung der Stars

Gering: Bereitschaft zum Bezahlen und zur Förderung der gegenwärtigen Kunst

Repräsentation

Hoch: Bedarf an persönlicher Repräsentation über virtuelle Medien

Gering: Repräsentation + Ausdruck über Architektur

Kommunikation

Hoch: Virtuelle Kommunikation

Gering: Bedeutung des Öffentlichen Raumes als Kommunikationsplattform

Stadt

Hoch: Wertschätzung des Städtischen und Urbanen

Gering: Strukturelle Maßnahmen zum Erhalt des Städtischen und Urbanen (Einschränkung Autoverkehr + Lärm-, Luftemissionen + Unfallrisiko, Förderung/Erhalt von Wohnungsnutzung + Nutzungsmischung, gestreute/ kleinteilige Eigentumsverhältnisse/ Handelsstrukturen, Denkmalsschutz, Begrenzung Spekulation……)

Öffentlicher Raum

Hoch: Popularität des Virtuellen

Gering: Vitalität des Realen

Erhaltung

Hoch: Nostalgie

Gering: Maßnahmen zum Erhalt alter Strukturen

Verkehr

Hoch: Mobilität

Gering: Akzeptanz +Verständnis + Realisierung der Folgen

Umwelt

Hoch: Umweltbewusstsein + Romantische Landschaftsbetrachtung

Gering: Maßnahmen zum Erhalt (Energiebewusstsein, Müllvermeidung, Mobilitätseinschränkung Auto und Flugzeug, Förderung Ökologischer Landwirtschaft, Ressourcenschonender Tourismus)

Tourismus

Hoch: Wunsch der Erfahrung von Authentizität

Gering: Verständnis der Zerstörung von Authentizität als Folge vom Nutzen des industriell organisierten Tourismus (mit dem Endergebnis eine leere Hülle, eine Kulisse vorzufinden)

Internet

Hoch: Attraktivität des scheinbar Kostenlosen

Gering: Bewusstsein für die Ausbeutung der eigenen Daten 

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